11.11.2020 -

Die Bestellung und Abberufung von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit ist nach § 9 Abs. 3 Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) nur mit Zustimmung des Betriebsrates möglich. Unklar ist allerdings die rechtliche Frage, ob dieses Zustimmungserfordernis und die damit gegebene Mitbestimmung des Betriebsrats zugleich auch ein Initiativrecht des Betriebsrats beinhaltet. Wäre dies der Fall, könnte der Betriebsrat aktiv die Abberufung einer Fachkraft für Arbeitssicherheit von dem Arbeitgeber verlangen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat in einem aktuellen Beschluss diese Frage behandelt und ein Initiativrecht im Ergebnis verneint (LAG Berlin-Brandenburg v. 05.11.2019, 7 TaBV 1728/19). Die Entscheidung ist von großer praktischer Bedeutung und soll daher hier besprochen werden.


Die Einigungsstelle prüft ihre Zuständigkeit in eigener Kompetenz (Copyright: Freedomz/adobe.stock).

Der Fall (verkürzt)

Der antragstellende Betriebsrat ist bei dem beteiligten Arbeitgeber, der im Auftrag der BVG Fahrdienstleistungen erbringt, mit 17 Mitgliedern gewählt und gebildet. Der Betriebsrat wirft der bei der Arbeitgeberin beschäftigten Fachkraft für Arbeitssicherheit vor, nicht ausreichend für den Arbeitsschutz tätig zu werden. Er regte daher gegenüber der Arbeitgeberin an, diesen Mitarbeiter als Fachkraft für Arbeitssicherheit abzuberufen.

Die Arbeitgeberin hat dieses Ansinnen als unbegründet zurückgewiesen. Der Betriebsrat hat daraufhin beschlossen, seine Prozessbevollmächtigten mit der außergerichtlichen und ggf. gerichtlichen Geltendmachung seines Mitbestimmungsrechts bei der Abberufung der Fachkraft für Arbeitssicherheit zu beauftragen. Weiter hat der Betriebsrat beschlossen, die Einigungsstelle mit dem Gegenstand „Abberufung der Fachkraft für Arbeitssicherheit“ anzurufen und das Beschlussverfahren nach § 100 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) einzuleiten.

Das Arbeitsgericht hat die Einigungsstelle durch Beschluss mit dem Gegenstand „Abberufung der Fachkraft für Arbeitssicherheit“ unter Vorsitz eines pensionierten Vorsitzenden Richters vom Landesarbeitsgericht bestellt und die Zahl der Beisitzer auf zwei je Seite festgesetzt.

Die Entscheidung

Im Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

I. Offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle?

Die Bildung einer Einigungsstelle unterliegt einem speziellen Verfahren, das in § 100 ArbGG geregelt ist. Nach § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG kann der Antrag auf Einsetzung eines Vorsitzenden einer Einigungsstelle nur zurückgewiesen werden, wenn diese offensichtlich unzuständig ist. Eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle ist dann anzunehmen, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt und sich die beizulegende Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erkennbar nicht unter einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand des Betriebsverfassungsgesetzes subsumieren lässt.

Sinn der Regelung in § 100 Abs. 1 S. 1 ist es, in Zweifelsfällen der Einigungsstelle die Prüfung ihrer Zuständigkeit zu überlassen und so eine beschleunigte Durchführung des Einigungsstellenverfahrens zu ermöglichen. Damit soll den Betriebsparteien im Bedarfsfall zeitnah eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung gestellt werden.

Nicht offensichtlich unzuständig ist die Einigungsstelle immer dann, wenn in Rechtsprechung und Literatur umstritten ist, ob dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zusteht und es an einer Klärung des Bundesarbeitsgerichts fehlt.

Hinweis für die Praxis:

Nach diesen Maßstäben ist eine Einigungsstelle nur in ganz seltenen Fällen offensichtlich unzuständig. Bekanntlich sind nahezu alle betriebsverfassungsrechtlichen Fragen umstritten. Das liegt bereits in der Natur der Sache, da Arbeitgeber regelmäßig eine andere Auffassung zur Reichweite von Mitbestimmungsrechten vertreten als Betriebsräte und Gewerkschaften. Es finden sich daher in den einschlägigen Kommentaren jeweils unterschiedliche Rechtsauffassungen. Nur wenn das Bundesarbeitsgericht eine Rechtsfrage abschließend für die Praxis geklärt hat, kann von einer klaren Rechtslage ausgegangen werden.

II. Initiativrecht des Betriebsrats?

Vorliegend ging es also um die Frage, ob aus dem Gesetzeswortlaut in § 9 ASiG ein Initiativrecht des Betriebsrats zur Abberufung der Fachkraft für Arbeitssicherheit eindeutig nicht gegeben war. Nur bei einer klaren Rechtslage wäre die Einigungsstelle nämlich dann offensichtlich unzuständig gewesen. Der Wortlaut des § 9 Abs. 3 ASiG sieht vor, dass Fachkräfte für Arbeitssicherheit mit Zustimmung des Betriebsrats zu bestellen und abzuberufen sind. Im Übrigen wird in der Vorschrift auf § 87 BetrVG verwiesen. Bekanntlich sind in § 87 zahlreiche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates vorgesehen, die auch ein Initiativrecht überwiegend vorsehen. Man könnte also nun die Ansicht vertreten, dass durch den Verweis in § 9 Abs. 3 ASiG auf § 87 BetrVG gleichzeitig auch ein Initiativrecht begründet werden soll. So wird dies in der betriebsverfassungsrechtlichen Literatur teilweise vertreten (vgl. Richardi, BetrVG 16. Aufl. 2018, § 87 Rn. 599 und Fitting, BetrVG 29. Aufl. 2018, § 87 Rn. 321). Diese Kommentarstellen vertreten insbesondere, dass als Fachkraft für Arbeitssicherheit nur eine Person tätig werden soll, die das Vertrauen des Betriebsrats innehat. Daher müsse dem Betriebsrat ein Initiativrecht bei der Abberufung zustehen, wenn er die Eignung oder Kooperationsbereitschaft der Fachkraft für Arbeitssicherheit bestreitet.

Das Landesarbeitsgericht hat sich allerdings diesen Kommentarstellen nicht angeschlossen. Für ein Initiativrecht fehlt es an einer klaren gesetzlichen Regelung. Die Formulierung in § 9 Abs. 3 ASiG, „mit Zustimmung des Betriebsrates“, ist nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts eindeutig. Ein Initiativrecht kann daraus gerade nicht abgeleitet werden. Hätte der Gesetzgeber dem Betriebsrat ein dem § 87 BetrVG entsprechendes Mitbestimmungsrecht einräumen wollen, hätte er dies ohne Weiteres tun können.

Fazit

Das Landesarbeitsgericht hat daher ein Initiativrecht mit guter Begründung abgelehnt. Dies änderte aber nichts an der Zuständigkeit der Einigungsstelle. Diese hätte das Landesarbeitsgericht nur dann nicht einsetzen dürfen, wenn sie offensichtlich unzuständig gewesen wäre. Vorliegend ist jedoch wegen der unterschiedlichen Meinungen in Literatur und Rechtsprechung bislang noch von einer ungeklärten Rechtsfrage auszugehen. Die streitige Frage ist vom Bundesarbeitsgericht nicht entschieden worden. Damit war die Einigungsstelle nach § 100 ArbGG einzusetzen.

Freilich bedeutet dies noch nicht, dass dann ein Initiativrecht auch im Einigungsstellenverfahren besteht und bejaht wird. Die Einigungsstelle prüft ihre Zuständigkeit in eigener Kompetenz. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass sich die Einigungsstelle dann im eigentlichen Verfahren der Rechtsauffassung des Landesarbeitsgerichts anschließt. Gegen die Entscheidung der Einigungsstelle kann dann wiederum im normalen Beschlussverfahren und im vollständigen Instanzenzug eine erneute gerichtliche Prüfung erfolgen

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