23.03.2021 -

Vertragsärzte oder Vertragszahnärzte können Entlastungsassistenten beschäftigen. Deren Tätigkeit in der Praxis ist zur Aufrechterhaltung der Versorgung oft sehr wichtig, gerade denn der Praxisinhaber oder Praxisinhaberin aus persönlichen Gründen vorübergehend andere Prioritäten setzen muss oder will. Ein Entlastungsassistent wird dann, mit Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung oder Kassenzahnärztlichen Vereinigung, in der Praxis als Angestellte beschäftigt.


LSG Niedersachen-Bremen: Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr sind noch „Kinder“ (Copyright: StockPhotoPro/adobe.stock).

Was ist ein Entlastungsassistent?

Entlastungsassistenten sind in der Zulassungsverordnung geregelt, § 32 Abs. 2 der Zulassungsverordnung für Ärzte, bzw. der Zulassungsverordnung für Zahnärzte. Dort heißt es jeweils im:

„Die Beschäftigung von Assistenten (…) bedarf der Genehmigung der KV/KZV. Im Übrigen darf der Vertragsarzt einen Vertreter oder einen Assistenten nur beschäftigen,

1. wenn dies im Rahmen der Aus- oder Weiterbildung oder aus Gründen der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung erfolgt,
2. während Zeiten der Erziehung von Kindern bis zu einer Dauer von 36 Monaten, wobei dieser Zeitraum nicht zusammenhängend genommen werden muss, und
3.  während der Pflege eines pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung bis zu einer Dauer von sechs Monaten.“

Entlastungsassistenten bei der Erziehung von Kindern?

Häufig besteht der Wunsch einen Entlastungsassistenten oder eine -assistentin anzustellen, wenn die Praxisinhaberin oder der -inhaber Zeit für die Kinder haben möchte. Dies ist, wie in § 32 der Ärzte-ZV bzw. Zahnärzte-ZV gesehen, ein grundsätzlich tauglicher Grund für einen erfolgreichen Antrag auf Genehmigung. Trotzdem kommt es hier immer wieder zu Unsicherheiten oder gar zum Streit um die Genehmigung. Unklarheiten bestehen häufig, wenn „Kinder“ gar nicht mehr klein, sondern bereits Jugendliche sind. So auch in einem kürzlich vom Landessozialgericht Niedersachen-Bremen (LSG) entschiedenen Fall (Urteil vom 28.10.2020, Az. L 3 KA 31/20, als Ganzes nachzulesen z.B. unter: https://is.gd/N6UJj8.

Der Fall: Streit um Genehmigung wegen Erziehung bei 14-jährigem Sohn

Eine niedergelassene Frauenärztin hatte unter anderem einen (adoptierten) Sohn und beantragte in dessen Pubertät bei ihrer Kassenärztlichen Vereinigung die Genehmigung, eine Assistentin als Entlastungsassistentin anstellen zu dürfen. Zur Begründung gab sie an, in Hinblick auf ihren adoptierten Sohn bestehe für die Zeit der Pubertät des Adoptivkindes die Gefahr einer Retraumatisierung, woraus sich ein Zeitbedarf ergebe, der sich nicht mit einer vollen Arbeitstätigkeit als Selbstständige vereinbaren lasse.

Die Kassenärztliche Vereinigung lehnte ab. Ihre Begründung unter anderem: Unter dem Begriff des „Kindes“ in der Ärzte-ZV seien in Anlehnung an die Definition in § 1 Abs 1 des Jugendschutzgesetzes zur Abgrenzung vom „Jugendlichen“ nur Personen bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres zu verstehen. Da das Adoptivkind bei Antragstellung bereits 15 Jahre alt gewesen sei, sei es demnach inzwischen als Jugendlicher anzusehen.

Gegen diese Entscheidung legte die Ärztin Widerspruch ein, den die Kassenärztliche Vereinigung zurückwies. Sie verwies unter anderem darauf, die Ärztin könne ja auch ihren Versorgungsauftrag beschränken oder eine Kollegin oder eine Kollegin im Job-Sharing einstellen.
Die Ärztin legte daraufhin Klage zum Sozialgericht ein. Das Sozialgericht gab der Ärztin Recht. Aus dem Wortlaut des § 32 Ärzte-ZV ergebe sich ein Anspruch auf Genehmigung bei Erziehung von Kindern bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, was das Gericht im Einzelnen begründete, unter anderem mit Gleichbehandlungsgrundsätzen in Bezug auf Arbeitnehmer und dem Elterngeldgesetz.

Die Kassenärztliche Vereinigung akzeptierte das Urteil nicht und legte Berufung zum Landessozialgericht (LSG) ein und trug umfangreich zu ihrer Rechtsauffassung vor. Die Vorschrift des § 32 Ärzte-ZV sei eng auszulegen. So gingen manche Stimmen in der juristischen Literatur davon aus, die Regelung erlaube Entlastungsassistentengenehmigungen nur im Zusammenhang mit der Erziehung von Kindern bis 8 Jahren.

LSG Niedersachen-Bremen: Anspruch auf Entlastungsassistenz auch bei Erziehung von Jugendlichen

Das LSG bestätigte den Erfolg der Ärztin in der ersten Instanz. Das Sozialgericht habe grundsätzlich richtig entschieden.

Die wichtigsten Argumente des LSG:

  • § 32 Ärzte-ZV enthält keine ausdrückliche Altersbegrenzung.
  • Da die Erziehungszeiten von bis zu 36 Monaten nicht zusammenhängend genommen werden müssen, gibt es insbesondere keine Altersgrenze von 3 Jahren.
  • Die Verwendung des Wortes „Kind“ führt auch zu keiner Altersbeschränkung.
  • Aus dem Zusammenhang von „Kind“ und „Erziehung“ ergibt sich aber die Altersbeschränkung auf ein Lebensalter bis zum vollendeten 18. Lebensjahr, weil ab diesem Zeitpunkt das Recht und die Pflicht der Eltern für das minderjährige Kind zu sorgen, endet.
  • Eine andere insbesondere engere Sichtweise ist nicht gerechtfertigt.
  • Eine Balance zwischen freiberuflicher Tätigkeit und Familie kann auch bei Kindern erforderlich sein, die das biologische Jugendlichenalter erreicht haben, z.B. im Zusammenhang mit Entwicklungsproblemen in der Zeit der Pubertät bzw. der Adoleszenz oder in Hinblick auf Schwierigkeiten in Schul- und Berufsausbildung
  • Vergleiche mit dem Jugendschutzgesetz „passen“ nicht.

Am Rande stellte das LSG allerdings noch fest, dass die in der Ärzte-ZV genannten 36 Monate nicht für jedes Kind genommen werden könnten, sondern nur insgesamt, also für die Erziehung von „Kindern“. Ansonsten drohten – abhängig von der Zahl der Kinder – gewichtige Einschränkungen der Versorgung, weil die Ärztin oder der Arzt möglicherweise jahrelang nicht voll für die Versorgung zur Verfügung stünde.

Nächste Runde: Bundessozialgericht (BSG)

Das LSG hatte die Revision zum BSG zugelassen, die die KV auch eingelegt hat. Es bleibt also spannend, ob das letzte Wort zu den Möglichkeiten, Entlastungsassistenten bei der Erziehung von Jugendlichen genehmigt zu bekommen, schon gesprochen ist. Das Verfahren ist unter dem Aktenzeichen B 6 KA 15/20 R beim BSG anhängig. Welche Verfahren zu vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Fragen jeweils beim BSG anhängig sind, kann man über die Internetseite des BSG hier einsehen.

Fazit: Kämpfen lohnt sich auf jeden Fall

Nach unserer Auffassung spricht viel dafür, dass die vom LSG Niedersachsen Bremen vertretene Rechtsauffassung zutreffend ist. Die dortige Argumentation scheint überzeugend und wird auch in der juristischen Fachliteratur vielfach geteilt. Ärzte und Zahnärzte sollten also nicht den Fehler machen, die Beschäftigung eines Entlastungsassistenten oder einer Entlastungsassistentin nicht auch dann zu beantragen, wenn größere Kinder – Jugendliche – in einer schwierigen und für den weiteren Lebensweg wichtigen Phase noch einmal mehr elterliche Präsenz benötigen. Die aktuelle Situation („Corona“) unterstreicht eindrucksvoll, durch welche schwierige Zeiten nicht nur Kinder, sondern auch Jugendliche zu gehen haben. Wenn Sie beim Antrag auf Genehmigung eines Entlastungsassistenten oder einer Entlastungsassistentin Unterstützung benötigen – oder auch nur einen zeitgemäßen und rechtssicheren Anstellungsvertrag für die Beschäftigung von Entlastungsassistenten benötigen, kontaktieren Sie uns jederzeit.

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • Top-Kanzlei für Medizin­recht (Behand­ler­seite)
    (WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Wirtschafts­kanzlei Deutsch­lands im Bereich Gesundheit & Pharmazie
    (FOCUS SPEZIAL 2022, 2021, 2020 - 2013)

  • Top-Anwalt (Wolf Constantin Bartha) für Medizinrecht
    (WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)

  • „Eine der besten Wirtschaftskanzleien für Gesundheit und Pharmazie„
    (brand eins Ausgabe 23/2022, 20/2021, 16/2020)

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