20.04.2022 -


Anspruch auf Mitbestimmungsrecht? (credit:adobestock)

Können sich die Betriebspartner auf die Besetzung einer Einigungsstelle nicht einigen, muss das Arbeitsgericht im speziellen Verfahren nach § 100 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) entscheiden. In diesem Verfahren muss das Arbeitsgericht auch prüfen, ob überhaupt ein Mitbestimmungsrecht besteht. Der Prüfungsmaßstab ist allerdings sehr eingeschränkt. Ein Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle kann nur abgewiesen werden, wenn die Zuständigkeit unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt als möglich erscheint.

Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hatte nun zu entscheiden, ob eine Einigungsstelle zur Gewährung einer Corona-Prämie in einer weltweiten Unternehmensgruppe für einen Betrieb in Deutschland einzusetzen war. Die Entscheidung ist von übergeordnetem Interesse und soll daher hier besprochen werden (LAG Nürnberg v. 21.6.2021, 1 TaBV 11/21).

Der Fall (verkürzt)

Bei dem Arbeitgeber handelt es sich um ein in der Spielzeugbranche tätiges Unternehmen. Die jeweiligen Tochtergesellschaften sind in verschiedenen Ländern Europas, in den USA, in Kanada und in Mexiko mit jeweils eigenen Betrieben tätig. Es gibt eine übergeordnete Holding und deren Eigentümerin ist wiederum eine Stiftung.

In Deutschland existiert nur ein Unternehmen. Dieses enthält einen Betriebsrat. Ein Konzernbetriebsrat existiert nicht.

Der Stiftungsbeirat wies im November 2020 den Vorstand der Stiftung verbindlich an, eine Corona-Sonderzahlung in allen Gesellschaften der Unternehmensgruppe auf dem rechtlich zulässigen Weg zu veranlassen. Dabei sollte für die Gesellschaften kein Umsetzungsspielraum bestehen. Die Prämie sollte 500,00 € betragen, bei Teilzeitbeschäftigten anteilig. Es sollte eine im Einzelnen bestimmte Kürzung bei Arbeitsunfähigkeit vorgenommen werden. Die Prämie wurde dann auch um die Jahreswende 2020 / 2021 ausgezahlt.

Der in Deutschland gebildete Einzelbetriebsrat verwies in der Folge auf ein ihm zustehendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Die deutsche Gesellschaft verneinte ein Mitbestimmungsrecht.

Sie habe bei der Ausgestaltung der Prämie keinerlei Gestaltungsspielraum und sei an die Vorgaben des Stiftungsrates gebunden. Dieser habe die Verteilungsgrundsätze abschließend geregelt. Zudem handele es sich um eine Entscheidung für den gesamten Konzern. Zuständig sei daher ein Konzernbetriebsrat, der hier nicht gebildet sei.

Der Betriebsrat hat daraufhin bei dem zuständigen Arbeitsgericht die Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Gegenstand „Entlohnungsgrundsätze für die Corona-Sonderzahlung“ unter Einsetzung eines Vorsitzenden und der Zahl von drei Beisitzern je Seite beantragt.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag mit einem anderen Vorsitzenden und nur zwei Beisitzern stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts im Wesentlichen bestätigt.

I. Offensichtliche Unzuständigkeit maßgeblich

Im Rahmen eines Einsetzungsverfahrens für eine Einigungsstelle muss das Arbeitsgericht prüfen, ob überhaupt ein Mitbestimmungsrecht besteht. Der Prüfungsspielraum ist hier, wie oben schon ausgeführt, sehr eingeschränkt. Es muss sich bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennen lassen, dass ein Mitbestimmungsrecht in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt. Dies ist nur in seltenen Fällen gegeben.

Dieser Offensichtlichkeitsmaßstab gilt allerdings auch für die Frage, ob der antragstellende Betriebsrat oder ein anderes Mitbestimmungsgremium zur Klärung der Frage zuständig ist.

Das Arbeitsgericht hat die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hier als unzweifelhaft gegeben angesehen. Zwar ist die Frage des Volumens einer Bonuszahlung nicht mitbestimmungspflichtig, aber eindeutig sind die Verteilungsmaßstäbe auf die einzelnen Mitarbeiter mitbestimmungspflichtig. Besteht daher ein Mitbestimmungsrecht, ist auch die Durchsetzung dieses Rechts mit Hilfe der Einigungsstelle möglich (vgl. § 87 Abs. 2 BetrVG).

II. Zuständiges Gremium?

Unklar war vorliegend aber die Frage, ob der antragstellende Betriebsrat hier zuständig bzw. nicht offensichtlich unzuständig war. Bei einer konzernweiten Ausgestaltung einer Corona-Prämie ist auch der Konzernbetriebsrat unzweifelhaft zunächst zuständig. Im vorliegenden Fall war aber ein Konzernbetriebsrat nicht gebildet. Allerdings bestehen dazu einige Unklarheiten.

So konnte hier die Bildung eines Konzernbetriebsrats ggf. schon deshalb nicht in Betracht kommen, da nur ein einziger Betrieb im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vorhanden ist. Es ist dazu nicht abschließend geklärt, ob in einem solchen Fall überhaupt ein Konzernbetriebsrat gebildet werden kann, weil § 54 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vom Vorhandensein mehrerer Betriebsrats- oder Gesamtbetriebsratsgremien ausgeht. Fehlt es aber an der rechtlichen Möglichkeit, einen Konzernbetriebsrat zu gründen, ist die Verlagerung der Mitbestimmungsrechte auf den Gesamt- oder im Falle dessen Fehlens, weil im Unternehmen nur ein einziger Betrieb gebildet ist – Einzelbetriebsrat zumindest offensichtlich nicht ausgeschlossen.

Vorliegend kommt hinzu, dass nur ein einziges Unternehmen im Geltungsbereich des Betriebsverfassungsrechts existiert mit der Folge, dass auch nur ein einziger Gesamtbetriebsrat oder Einzelbetriebsrat existieren kann. Für das Gericht war daher kein Grund erkennbar, der der Verlagerung der Mitbestimmungsrechte auf ein solches Gremium entgegenstehen könnte.

Fazit

Die Gewährung einer Corona-Sonderprämie und die Ausgestaltung der Verteilungsgrundsätze sind mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Zwar hat der Betriebsrat kein Initiativrecht, eine solche Prämie einzuführen bzw. das Volumen festzulegen. Die Verteilung ist aber stets mitbestimmungspflichtig.

Das zuständige Gremium ist in solchen Fällen nach den Grundsätzen des Betriebsverfassungsrechts festzulegen. Es gilt also die übliche Abstufung Konzernbetriebsrat, Gesamtbetriebsrat oder Einzelbetriebsrat. Besteht nur ein Betrieb in Deutschland bei einer weltweiten Unternehmensgruppe, spricht vieles dafür, dass auch dieser Einzelbetriebsrat selbst dann zuständig ist, wenn weltweit ein Konzernbetriebsrat gebildet werden könnte. Unabhängig von dieser noch offenen Rechtsfrage, die auch durch das Bundesarbeitsgericht bislang noch nicht geklärt ist, kann jedenfalls eine Einigungsstelle ohne weiteres zu der Thematik eingesetzt werden. Eine offensichtliche Unzuständigkeit besteht dann nicht.

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