19.05.2022 -


Oftmals bezweifeln Arbeitgeber die Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter nach längerer Krankheit (credit:adobestock)

In der Praxis kommt es immer wieder zu Streit über die Frage, ob Mitarbeiter nach einer langen Krankheitsphase wieder leistungsfähig sind. Oftmals bezweifeln Arbeitgeber diese Leistungsfähigkeit und berufen sich dazu auf vorliegende ärztliche oder sonstige gutachterliche Stellungnahmen, z.B. eines Betriebsarztes. Arbeitnehmer hingegen bieten ihre Arbeit an und rechtlich stellt sich dann die Frage, ob bei abgelehnter Annahme der Arbeitsleistung der Arbeitgeber in Annahmeverzug gerät, also dennoch das Arbeitsentgelt zahlen muss. Mit diesen Fragen hat sich nun das Bundesarbeitsgericht in einem aktuellen Urteil befasst und dabei wichtige Hinweise für die Darlegungs- und Beweislast gegeben (BAG v. 21.7.2021 – 5 AZR 543/20).

Der Fall: 

Der klagende Arbeitnehmer macht Vergütung wegen Annahmeverzugs geltend. Gegenstand der Zahlungsklage ist dabei insbesondere die Frage, ob er nach langer Arbeitsunfähigkeit wieder leistungsfähig war.

Der 1961 geborene Arbeitnehmer ist Diplom-Mathematiker und bereits seit 1. September 1987 bei dem beklagten Arbeitgeber als „vollbeschäftigter Angestellter in der Datenverarbeitung“ tätig. Er hat einen Grad der Behinderung von 50 und ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt.

Der Kläger wurde auf verschiedenen Arbeitsplätzen eingesetzt und erhielt zuletzt eine Vergütung nach der Entgeltgruppe des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L).

Für einen langen Zeitraum von August 2010 bis Anfang 2015 war er unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt. Anschließend folgte eine bis zum 30. Juni 2016 befristete Beschäftigung in der Finanzschule, während derer er bis Anfang Juli 2015 an 86 Tagen und ab dem 9. Dezember 2015 durchgehend bis zumindest 5. August 2016 arbeitsunfähig krank war.

Am 1. August 2016 fand ein Personalgespräch statt. Über den Inhalt besteht im Einzelnen zwischen den Parteien Streit. Jedenfalls wies das beklagte Land dem Kläger keinen neuen Einsatz zu, zahlte aber zunächst bis einschließlich November 2016 die Vergütung weiter.

Ab Dezember 2016 stellte das beklagte Land die Entgeltzahlung hingegen ein. Hiergegen erhob der Arbeitnehmer Klage und machte Vergütung wegen Annahmeverzugs für den Zeitraum Dezember 2016 bis Mai 2017 in Höhe von 27.325,50 € geltend.

Er hat vorgetragen, er sei seit dem 6. August 2016 wieder arbeitsfähig. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg sei sogar ab 1. August 2016 von einer Arbeitsfähigkeit ausgegangen. So habe er im Juli 2016 erfolgreich eine medikamentöse Kombinationstherapie begonnen. Zudem hat er die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden.

Das beklagte Land beruft sich auf mehrere Stellungnahmen der Zentralen medizinischen Gutachterstelle.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

I. Kein Annahmeverzug bei Leistungsunfähigkeit

Im vorliegenden Fall hatte das beklagte Land dem Arbeitnehmer unstreitig keine Tätigkeit mehr zugewiesen und ihn im Anschluss an das Personalgespräch am 1. August 2016 vorläufig freigestellt. Der Arbeitnehmer musste daher seine Arbeitsleistung nicht mehr ausdrücklich anbieten. Der Arbeitgeber hat deutlich zu erkennen gegeben, dass er zur Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht bereit war.

Im Grundsatz muss dann der Lohn auch gezahlt werden. Annahmeverzug des Arbeitgebers besteht aber dann nicht, wenn der Arbeitnehmer außer Stande ist, die geschuldete Arbeitsleistung aus in seiner Person liegenden Gründen zu erbringen. Diese Leistungsfähigkeit ist somit – neben dem Leistungswillen – eine vom Leistungsangebot weitere Voraussetzung, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen muss. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht freigestellt worden ist. Der Arbeitnehmer muss zur Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung fähig sein. Etwas anderes gilt nur, wenn die Parteien darüber eine ausdrückliche Vereinbarung treffen, was hier nicht der Fall war.

II. Wer trägt die Beweislast?

Der Arbeitgeber hat über den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers regelmäßig keine näheren Kenntnisse. Das hat nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts daher auch unmittelbare Auswirkungen auf die Beweislast. Beruft sich also der Arbeitgeber gegenüber einem Anspruch eines Arbeitnehmers auf Annahmeverzug auf dessen Leistungsunfähigkeit, muss er als Arbeitgeber und Gläubiger der Arbeitsleistung diese Einwendung auch beweisen. Er kommt aber seiner Beweislast schon dadurch ausreichend nach, wenn er Indizien vorträgt, aus denen auf eine Leistungsunfähigkeit im Annahmeverzugszeitraum geschlossen werden kann.

Hat sich der Arbeitgeber auf solche Indizien berufen, ist es dann Sache des Arbeitnehmers, die Indizwirkung der behaupteten Tatsachen zu erschüttern.

Hinweis für die Praxis:

Naheliegend ist es, insoweit die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Der Arbeitgeber ist dann für die Leistungsunfähigkeit beweispflichtig. Er kann sich auf das Zeugnis der den Arbeitnehmer behandelnden Ärzte und auf ein Sachverständigengutachten berufen.

III. Anforderungen an die Indizien für den Arbeitgeber?

Der Arbeitgeber muss Indizien vortragen, er muss aber nicht die Leistungsunfähigkeit beweisen. Er muss lediglich Tatsachen vortragen, die einen hinreichenden Anhaltspunkt dafür bieten, dass der Arbeitnehmer im Streitzeitraum für die geschuldete Tätigkeit nicht bzw. nicht uneingeschränkt leistungsfähig war, die also eine entsprechende Schlussfolgerung ermöglichen und als wahrscheinlich erscheinen lassen. Daran dürfen keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Der Arbeitgeber verfügt regelmäßig über keine näheren Informationen zum Gesundheitszustand des Arbeitnehmers.

Hinweis für die Praxis:

Als Indizien kann sich der Arbeitgeber auf die Krankheitszeiten vor und nach dem Verzugszeitraum berufen, auf privatgutachterliche Stellungnahmen eines Betriebs- oder Vertrauensarztes. Der Arbeitgeber kann sich auch sonstige ärztliche Gutachten zu eigen machen.

IV. Welche Tätigkeit ist geschuldet?

Die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers bezieht sich auf die von ihm zu bewirkende Arbeitsleistung. Oftmals besteht aber Streit über die Frage, welchen Inhalt diese Arbeitsleistung hat. Im Regelfall bezieht sich diese Arbeitsleistung auf die dem Arbeitnehmer zuletzt zugewiesene Tätigkeit. Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber aber von seinem Weisungsrecht keinen Gebrauch gemacht und nach dem befristeten Einsatz in der Finanzschule die von dem Arbeitnehmer zu bewirkende Arbeitsleistung im Anschluss nicht mehr näher bestimmt. Daher wäre maßgeblich für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit bzw. Leistungsunfähigkeit nicht eine konkrete Arbeitsleistung, sondern die im Arbeitsvertrag rahmenmäßig als „Angestellter in der Datenverarbeitung“ umschriebene Tätigkeit unter Berücksichtigung der zuletzt für ihn maßgeblichen Entgeltgruppe 11 TV-L.

Für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit kam es deshalb darauf an, ob der Kläger im Annahmeverzugsraum gesundheitlich zur Arbeit in der Lage war, die den Anforderungen der Tätigkeitsmerkmale der Entgeltgruppe 11 TV-L genügt. Abzustellen war dabei auf Tätigkeitsmerkmale eines vollbeschäftigten Angestellten in der Datenverarbeitung.

Hinweis für die Praxis:

Hierüber fehlt es noch an weiterer Aufklärung. Das Bundesarbeitsgericht hat daher den Rechtsstreit nochmals an das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.

Fazit:

Die Entscheidung ist von grundsätzlicher Bedeutung. Sind Arbeitnehmer lange krank und liegen verschiedene Gutachten und ärztliche Stellungnahmen vor, bedeutet das Ende einer Arbeitsfähigkeit nicht zwingend eine damit verbundene Leistungsfähigkeit. Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer in der Lage war, die zuletzt vereinbarten Tätigkeiten weiter erbringen zu können. Maßgeblich ist entweder die zuletzt konkretisierte Tätigkeit oder aber die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit. Der Arbeitgeber muss allerdings jedenfalls Indizien beweisen, die auf eine Leistungsunfähigkeit schließen lassen. Hat er solche Indizien benannt, ist es dann Sache des Arbeitnehmers, etwas anderes nachzuweisen. Annahmeverzug liegt nur dann vor, wenn die Leistungsfähigkeit bewiesen ist

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