21.09.2022 -


Führt der Einsatz von Mitarbeitern im Rahmen einer Matrixstruktur zu konzernbezogenem Kündigungsschutz? (credit:adobestock)

Der Kündigungsschutz ist grundsätzlich unternehmensbezogen und gerade nicht konzernbezogen. Es gibt aber Ausnahmefälle, in denen eine konzernbezogene Betrachtung geboten ist. Mit einer solchen Fallkonstellation hatte sich das Arbeitsgericht Bonn kürzlich zu befassen und trotz unternehmensbezogenem Wegfall des Beschäftigungsbedarfs die betriebsbedingte Kündigung für unwirksam erachtet und dies mit den Besonderheiten der bestehenden Matrixstruktur im Konzern begründet (ArbG Bonn v. 3.2.2022, 3 Ca 1698/21). Die Entscheidung ist von besonderem Interesse, hochaktuell und soll daher hier besprochen werden.

Der Fall:

Die klagende Arbeitnehmerin ist bei dem beklagten konzernangehörigen Unternehmen erst seit dem 14. September 2020 als Direktorin im Kreativbereich für den Bereich Marketing tätig. Das Arbeitsverhältnis wurde im September 2021 mit Wirkung zum 31. Dezember 2021 betriebsbedingt gekündigt. Zum Zeitpunkt der Kündigung war die Klägerin 52 Jahre alt und erzielte ein durchschnittliches regelmäßiges Bruttoentgelt in Höhe von monatlich 17.500,00 €.

Bei dem beklagten Arbeitgeber handelt es sich um ein deutsches Unternehmen. Das Marketing wird zentral und konzerneinheitlich seitens der Muttergesellschaft, die im Ausland sitzt, gesteuert und durchgeführt.

Vor dem Beschäftigungseintritt bei dem beklagten Unternehmen war die Klägerin bereits seit 30. November 2015 bei der Muttergesellschaft im Ausland beschäftigt. Aufgrund eines Umzuges ihres Ehemannes wollte die Klägerin im Jahre 2020 ebenfalls von Deutschland aus tätig werden. In der Folge wurde ihr daher von der Beklagten das Angebot zum Abschluss eines Arbeitsvertrages bei dem deutschen Unternehmen unterbreitet, das die Klägerin auch angenommen hat.

Seit 2015 als auch nach dem Wechsel zu der Beklagten ist die Klägerin innerhalb des Konzerns in einer Matrixstruktur beschäftigt. Der Marketingbereich wird von der Konzernobergesellschaft geleitet.

Im September 2021 teilte die Muttergesellschaft der Beklagten mit, dass die Tätigkeiten, die zuvor die Klägerin ausgeübt hat, nunmehr nicht mehr von der Beklagten, sondern von der Muttergesellschaft ausgeführt werden sollten. Gleichzeitig hatte die Muttergesellschaft die Entscheidung getroffen, ihre Marketingstrategie zu verändern. Die Beklagte beruft sich daher für die Kündigung auf betriebsbedingte Kündigungsgründe, da der Arbeitsplatz der Klägerin bei ihr durch ein Insourcing der Aufgaben der Klägerin zur Muttergesellschaft entfallen sei.

Die Klägerin hält hingegen die Kündigung für rechtsunwirksam. Bei der Entscheidung der Muttergesellschaft, die bislang von ihrem Vertragsarbeitgeber, der Beklagten, ausgeübten Tätigkeiten nunmehr wieder zurück in die Konzernmuttergesellschaft zu holen, sei es einzig und allein darum gegangen, ihre Kündigung vorzubereiten. Es handelt sich daher lediglich um einen Austausch. Dies belege auch die Stellenausschreibung, die genau auf ihre Stelle bei der Muttergesellschaft ausgelegt sei.

Demgegenüber beruft sich die Beklagte darauf, der Beschäftigungsbedarf bei ihr sei entfallen. Sie führe keine eigenen Marketingaktivitäten mehr durch.

Die Entscheidung:

Das Arbeitsgericht hat die Kündigung für unwirksam erachtet.

I. Konzernweiter Kündigungsschutz?

Das Kündigungsschutzgesetz schützt Mitarbeiter vor Kündigungen zunächst nur unternehmensbezogen. Einen konzernbezogenen Kündigungsschutz sieht das Kündigungsschutzgesetz nicht vor.

Die Rechtsprechung hat allerdings für besondere Sachverhaltsgestaltungen Ausnahmefälle zugelassen.

1. Konzernweiter Einsatz

Ein Ausnahmefall liegt zunächst dann vor, wenn ein konzernweiter Einsatz sich unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag oder sonstigen vertraglichen Absprachen ergibt. Kann ein Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag von vornherein für den Unternehmens- und den Konzernbereich eingesetzt werden oder hat sich sogar vertraglich mit einer Versetzung innerhalb der Unternehmens- bzw. Konzerngruppe einverstanden erklärt, muss der Arbeitgeber bei betriebsbedingten Kündigungsgründen eine Unterbringung des Arbeitnehmers in einem anderen Konzernbetrieb versuchen. Gleiches muss auch dann gelten, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine diesbezügliche Zusage gemacht oder eine Übernahme durch einen anderen Konzernbetrieb in Aussicht gestellt hat.

2. Selbstbindung des Arbeitgebers

Ein konzernbezogener Kündigungsschutz kann sich auch aus Vertrauensgesichtspunkten im Falle der Selbstbindung des Arbeitgebers ergeben. Sind für den Wegfall des Arbeitsplatzes konzerninterne Gründe (wie etwa die Verlagerung der Tätigkeiten auf andere Konzernunternehmen) ursächlich, ist der bisherige Arbeitgeber ggf. nicht zur betriebsbedingten Kündigung berechtigt, sondern muss zunächst für eine Weiterbeschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers in einem anderen Konzernunternehmen sorgen.

II. Kein Wegfall der Tätigkeiten insgesamt

Die Klägerin war hier bereits nicht ausschließlich bei der Beklagten eingegliedert. Vielmehr war sie auch weiterhin, trotz ihres Vertragswechsels zu dem beklagten Arbeitgeber, unverändert in die Matrixstrukturen der Konzernmutter eingebunden.

Der Inhalt der Tätigkeit und auch die hierarchische wie disziplinarische Einordnung sind trotz des Wechsels von der Konzernmutter zu der Beklagten unverändert geblieben. Dies ergab sich hier schon daraus, dass die Beklagte vorgetragen hatte, keine eigenen Marketingaktivitäten zu unterhalten.

Die tatsächliche Möglichkeit der Konzernmutter, die Tätigkeiten der Klägerin von der Konzernmutter zunächst auf die Beklagte und dann wieder zurück zu übertragen, hat zu einer Selbstbindung der Einheit aus Konzernmutter und Vertragsarbeitgeber geführt mit der Folge, dass es nicht mehr allein auf den Wegfall der Tätigkeiten der Klägerin bei der Beklagten ankommt, sondern auch zu einem Wegfall der Tätigkeiten insgesamt bei der Konzernmutter kommen muss, um die Kündigung betrieblich zu rechtfertigen.

Mit anderen Worten: Die ausgeübten Tätigkeiten müssen konzernweit entfallen. Dies war hier aber nicht der Fall.

Fazit:

Der Einsatz von Mitarbeitern im Rahmen einer Matrixstruktur, selbst länderübergreifend, führt bei Anwendung des deutschen Kündigungsschutzgesetzes zu einem konzernbezogenen Kündigungsschutz. Der Beschäftigungsbedarf muss dann insgesamt wegfallen, also insbesondere auch bei den anderen Konzernunternehmen. Es reicht nicht aus, wenn nur bei einem Konzernunternehmen (Vertragsarbeitgeber) die Tätigkeiten entfallen. Das Arbeitsgericht Bonn hat die dazu ergangenen Fallkonstellationen im Sinne der bestehenden Rechtsprechung erweitert. Allerdings ist das Verfahren in der Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln anhängig (11 Sa 230/22). Wir werden über die weitere Entwicklung zu dieser praxisrelevanten Thematik berichten.

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