25.01.2006

Geschäftsführer krisenbedrohter Unternehmen haben es vielerlei Hinsicht schwer. Besondere Sorgen machen ihnen abzuführende Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer, denn Sozialversicherungsträger lassen sich nicht so einfach hinhalten wie einfache Geschäftspartner und außerdem ist die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeträgen nach § 266a StGB strafbar. So sehen sich viele Geschäftsführer insolvenzbedrohter Unternehmen gut beraten, zunächst einmal Sozialversicherungsbeiträge abzuführen und erst dann den Insolvenzantrag zu stellen. Anlass dazu würde beispielsweise auch das jüngste Urteil des BGH vom 18. April 2005, Aktenzeichen II ZR 61/03, geben.

Überweist der Geschäftsführer allerdings zu früh, bahnt sich neues Unheil an – diesmal allerdings in erster Linie für den Sozialversicherungsträger.

Denn mit Urteil vom 9. Juni 2005, Az.: IX ZR 152/03, hatte der Bundesgerichtshof (BGH) über die Rechtsmäßigkeit einer vom Insolvenzverwalter ausgesprochenen Anfechtung einer Banküberweisung an einen Sozialversicherungsträger zu entscheiden, die mehr als fünf Tage vor Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge lag. Auch hier hatte der Geschäftsführer der GmbH vorsorglich etwas früher als üblich Sozialversicherungsbeiträge überwiesen. Der Insolvenzverwalter betrachtete diese Überweisung nachträglich als „inkongruent“ und erklärte die Anfechtung – wie der BGH bestätigte, zu Recht.

Die Entscheidung des BGH:

Die vom Arbeitgeber an die Einzugsstelle abgeführten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung unterliegen der allgemeinen insolvenzrechtlichen Anfechtung gemäß § 129 f InsO. Mögliche Benachteiligungen der übrigen Gläubiger ergeben sich aus dem Umstand, dass die Arbeitnehmeranteile in vollem Umfang zum Vermögen des Arbeitgebers gehören. Werden diese Arbeitnehmeranteile vor Fälligkeit gezahlt, führt dies zu einer Inkongruenz der Zahlung und damit zu einer Anfechtbarkeit der Abführung der Sozialversicherungsbeiträge.

Nach den Satzungen der Sozialversicherungsträger sind Beiträge beispielsweise für den Monat März „nicht vor dem 15. April“ fällig. Die Klauseln lauten üblicherweise in Anlehnung an § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, dass die Beiträge „spätestens am Fünfzehnten“ des Folgemonats fällig werden. Dies bedeutet aber auch im Sozialversicherungsrecht die Fälligkeit erst ab dem denjenigen Zeitpunkt, zu dem der Schuldner zu leisten hat und umgekehrt zu dem Zeitpunkt, ab dem der Gläubiger die Leistung verlangen kann. Dies gilt selbstverständlich auch für andere Zahlungsverpflichtungen außerhalb des Sozialversicherungsrechts in denen Zahlungsverpflichtungen mit den Worten „spätestens am …“ bezeichnet sind.

Der BGH bestätigt bei solchen Fälligkeitsvereinbarungen, dass gerade das Recht des Gläubigers, die Leistung einzufordern, eine kongruente von einer inkongruenten Rechtshandlung unterscheidet. Zahlt also der Schuldner vor einem Zeitpunkt der in der Vereinbarung oder im Gesetz mit „spätestens am …“ bezeichnet ist, liegt die Gefahr einer inkongruenten Zahlung nahe.

Dennoch verkennt der BGH nicht die üblicherweise zu erwartende Dauer einer Zahlung durch Überweisung. Anhaltspunkte hierfür bietet § 676a Abs. 2 Nr. 2 BGB. Danach muss das mit der Durchführung der Überweisung beauftragte Kreditinstitut die Überweisung bald möglich, im inländischen Verkehr längstens binnen drei Bankgeschäftstagen bewirken. Somit können Schuldner davon ausgehen, dass jedenfalls eine Zeitdauer von fünf Bankgeschäftstagen ausreicht, die Rechtszeitigkeit der Zahlung sicherzustellen. Das aber hat zur Folge, dass eine diesen Zeitraum überschreitende Leistungsverfrühung als inkongruent zu behandeln ist. Erfolgt also eine Zahlung, üblicherweise an Sozialversicherungsträger – mehr als fünf Bankgeschäftstage vor Fälligkeit, kann der Insolvenzverwalter die Zahlung als inkongruent anfechten und zurückverlangen.

Hoffnung für die Gläubiger und damit in aller Regel für die Sozialversicherungsträger ist der Grundsatz, dass jede Insolvenzanfechtung voraussetzt, dass zwischen der angefochten Rechtshandlung und der Verkürzung des dem Gläubigerzugriff offen stehenden Schuldnervermögens ein ursächlicher Zusammenhang bestehen muss. Ein solcher ist grundsätzlich zu bejahen, wenn die Insolvenzgläubiger ohne die Rechtshandlung bessere Befriedigung erlangt hätten.

Im Wege wertender Betrachtung ist deshalb einzuschätzen, ob dieselbe Masseschmälerung durch eine gesetzlich nicht missbilligte Rechtshandlung des Schuldners wirksam hätte herbeigeführt werden können und ob die Dauerhaftigkeit der mit der angefochtenen Rechtshandlung erzielten Wirkung mit dem Zweck der Anfechtungsvorschriften vereinbart werden kann.

Dies ist immer dann nicht der Fall, wenn zwischen der Zahlung und dem Fälligkeitstermin Insolvenzantrag gestellt und ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird. Denn nach Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters und dem damit regelmäßig einhergehenden Zustimmungsvorbehalt hat die Schuldnerin nicht mehr die Möglichkeit, nach Eintritt der Fälligkeit frei über ihr Vermögen zu verfügen. Ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters vorgenommen Verfügungen wären unwirksam gewesen und es wäre nicht damit zu rechnen, dass Insolvenzverwalter einer solchen Verfügung zugestimmt hätten. Dazu wäre ein Insolvenzverwalter auch nicht berechtigt. Denn Hauptszweck der Insolvenzverwaltung ist es, die Masse zum Nutzen der Gläubigergesamtheit gegen schmälernde Zugriffe des Schuldners oder einzelner Gläubiger zu schützen.

Fazit:

Durch die vor Fälligkeit geleisteten Zahlungen des Geschäftsführers an den Sozialversicherungsträgern kann den Geschäftsführer zwar von seiner strafrechtlichen Verantwortung im Sinne des § 266a StGB entbinden. Dem Sozialversicherungsträger nützt dies freilich bei Anfechtung durch den Insolvenzverwalters nichts. Auf der anderen Seite ist aber ungeklärt, ob damit nicht zugleich aus der Sicht des Geschäftsführers eine strafbare Gläubigerbegünstigung bzw. eine versuchte Gläubigerbegünstigung vorliegt. Dies scheint zwar eher unwahrscheinlich, jedoch ist fantasievollen Staatsanwaltschaften auch hier ein Ermittlungsverfahren zuzutrauen.

Vorerst sollte es vielleicht bei der Empfehlung eines Bonner Insolvenzverwalters verbleiben, der auch dieses Dilemma angesprochen sagte:

„Empfehlen Sie Ihrem Geschäftsführer, nichts zu tun, und möglichst noch vor Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge einen Insolvenzantrag zu stellen. Denn was er auch macht, er macht es verkehrt.“

Verfasser: RA & StB Andreas Jahn, MEYER-KÖRING v.DANWITZ PRIVAT – Bonn

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