17.04.2006 -

Wir hatten bereits mehrfach über die neue Vorschrift des § 84 Abs. 2 SGB IX berichtet, die zum 1. Mai 2004 in Kraft getreten ist. Gegenstand der Diskussion ist insbesondere die Frage, ob das in dieser Vorschrift vorgesehene betriebliche Eingliederungsmanagement für alle Arbeitnehmer gilt oder aber nur für behinderte bzw. schwerbehinderte Menschen. Nach unserer Auffassung gilt nur ein eingeschränkter Geltungsbereich. Wie bereits mitgeteilt, hat allerdings das Landesarbeitsgericht Niedersachsen den Anwendungsbereich der Vorschrift auf alle Arbeitnehmer erstreckt. Gleichzeitig hat dieses LAG entschieden, dass bei unterlassenen Maßnahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements eine krankheitsbedingte Kündigung unwirksam ist. Das Landesarbeitsgericht Berlin hat nun das Gegenteil entschieden (Urt. v. 27.10.2005 – 10 Sa 783/05 -, BB 2006, 560).

Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements im Sinne des § 84 Abs. 2 SGB IX ist nach Auffassung des LAG Berlin nicht formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung. Aber: Die Vorschrift legt dem Arbeitgeber die Pflicht auf, die Prüfung der Vermeidung der krankheitsbedingten Kündigung nicht nur intern, sondern in Absprache mit den betreffenden Institutionen (Schwerbehindertenvertretung, Betriebsrat, Intregrationsamt) vorzunehmen. Mit den Maßgaben des § 84 Abs. 2 SGB IX wird für den Fall der krankheitsbedingten Kündigung das dem Kündigungsrecht inne wohnende Ultima-Ratio-Prinzip verstärkend konkretisiert. Aus der Unterlassung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements kann aber nicht ohne weiteres die Unwirksamkeit einer entsprechenden Kündigung hergeleitet werden.

Hinweis für die Praxis:

Dem Urteil ist zuzustimmen. Zum Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung ist der Arbeitgeber ohnehin nach ständiger Rechtsprechung gehalten, zunächst vorhandene mildere Mittel zu prüfen und ggf. anzubieten. Dazu gehört bspw. das Angebot auf einen so genannten leidensgerechten Arbeitsplatz. Diese Grundsätze werden durch das betriebliche Eingliederungsmanagement für schwerbehinderte Menschen verstärkend konkretisiert.

Der Praxis kann dennoch nur empfohlen werden, vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung ein betriebliches Eingliederungsmanagement generell durchzuführen, vorsorglich auch bei nicht behinderten Personen. Dies gilt jedenfalls so lange, bis nicht eine klärende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vorliegt.

Verfasser: Dr. Nicolai Besgen, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in Bonn

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