Probleme des geltenden Rechts
Für Gesellschaften, Vereine und juristische Personen ist die Frage, welches Recht auf ihre gesellschaftsrechtliche Organisation anzuwenden ist, von zentraler Bedeutung. Im deutschen Kollisionsrecht gibt es hierzu bisher keine geschriebenen Regelungen. Dies hat zu Unsicherheiten bei der Frage des anzuwendenden Rechts geführt, wenn Gesellschaften grenzüberschreitend tätig sind. „Durch die neuen Regelungen lässt sich künftig das anwendbare Recht für den Rechtsverkehr sicher bestimmen“, sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.
Rechtsprechung und Literatur haben lange Zeit überwiegend die sogenannte Sitztheorie zugrunde gelegt. Danach war auf Gesellschaften das an ihrem tatsächlichen Sitz, d. h. dem Sitz ihrer Hauptverwaltung, geltende Recht anzuwenden.
Die uneingeschränkte Anwendung des Rechts am tatsächlichen Verwaltungssitz einer Gesellschaft hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in einer Reihe von Entscheidungen (vgl. insb. Urteil vom 5. November 2002, Rs. C-208/00, EuGHE I 2002, S. 9919 ff. („Überseering“) und Urteil vom 30. September 2003, Rs. C- 167/01, EuGHE I 2003, S. 10155 ff. („Inspire Art“)) jedoch als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit aus Artikel 43, 48 EG-Vertrag angesehen. Diese Verfahren betrafen Gesellschaften, die nach dem Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union wirksam gegründet waren, ihre Aktivitäten jedoch ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat ausübten bzw. ausüben wollten. Der EuGH hat aus der Niederlassungsfreiheit abgeleitet, dass eine nach dem Recht eines Mitgliedstaates wirksam gegründete Gesellschaft auch im Staat ihres tatsächlichen Sitzes als rechts- und parteifähig anzusehen ist.
Die Rechtsprechung des EuGH legt den Schluss nahe, auf Gesellschaften, Vereine und juristische Personen, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union wirksam gegründet worden sind, das Gründungsrecht anzuwenden (so auch BGH, Urteil vom 14. 3. 2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648 ff. – „Geschäftsführerhaftung bei private limited company“). Umfang, Ausgestaltung und Grenzen der sog. Gründungstheorie sind jedoch im Einzelnen ungeklärt. Weitgehend ungeklärt ist weiterhin, welches Recht auf grenzüberschreitende Umstrukturierungen anzuwenden ist. Bisher existieren lediglich materiellrechtliche Regelungen zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums (vgl. §§ 122a ff. des Umwandlungsgesetzes). Andere grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge sind bisher ebenso ungeregelt wie die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen.
Wesentliche Eckpunkte des Entwurfs:
Die gesetzliche Grundkonzeption
Mit den beabsichtigten Änderungen des EGBGB wird geregelt, welches nationale Recht jeweils auf Gesellschaften, Vereine und juristische Personen anzuwenden ist. Dies soll jeweils das Recht sein, nach dem die Gesellschaft, der Verein oder die juristische Person gegründet ist. Ausgangspunkt der Anwendbarkeit des Gründungsrechts sind Artikel 43 und 48 EG-Vertrag, die den
„… nach den Rechtvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in der Gemeinschaft haben….“,
das Recht einräumen, sich grundsätzlich ohne weitere Beschränkungen in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen.
Für Gesellschaften, Vereine und juristische Personen aus den übrigen Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums gilt ebenfalls die Niederlassungsfreiheit (vgl. Artikel 31 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, ABl. EU Nr. L 1 vom 3. Januar 1994, S. 3). Auch auf sie ist daher das Gründungsrecht anzuwenden.
Der Entwurf erstreckt die Anwendbarkeit des Gründungsrechts darüber hinaus auf Gesellschaften, Vereine und juristische Personen aus Staaten, die nicht der Europäischen Union oder dem Europäischen Wirtschaftsraum angehören (sog. „Drittstaaten“).
Der Entwurf verzichtet auf Bestimmungen zum anwendbaren Recht für die Rechnungslegung von Unternehmen.
Der Entwurf regelt weiterhin nicht, welche Rechtsordnung auf die Beteiligung der Arbeitnehmer in den Organen einer Gesellschaft anzuwenden ist. Für grenzüberschreitende Sachverhalte gelten insoweit die entsprechenden EG-Richtlinien und das zu ihrer Umsetzung ergangene Recht.
Die beabsichtigten Regelungen im Einzelnen
Für Gesellschaften, Vereine und juristische Personen wird die Gründungstheorie im deutschen Recht kodifiziert. Anwendbar ist nicht das am tatsächlichen Sitz der Gesellschaft, des Vereins oder der juristischen Person geltende Recht, sondern das Recht, nach dem die betreffende Vereinigung oder juristische Person gegründet worden ist (Gesellschaftsstatut). Für registrierte Gesellschaften, Vereine und juristische Personen ist dies das Recht des Staates, in dem sie in ein öffentliches Register eingetragen sind. Für (noch) nicht registrierte Gesellschaften, Vereine und juristische Personen ist das Recht maßgeblich, nach dem sie organisiert sind.
Der Begriff der „Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen“ ist untechnisch zu verstehen und umfasst sämtliche Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts, Vereine und juristische Personen des Privatrechts, Genossenschaften und BGB-Gesellschaften. Zu den juristischen Personen des Privatrechts zählen rechtsfähige Vereine und Stiftungen. Darüber hinaus gilt die Regelung auch für den nichtrechtsfähigen Verein. Nicht erfasst sind juristische Personen des öffentlichen Rechts, für die das Territorialitätsprinzip Anwendung findet.
Das Gesellschaftsstatut bestimmt die Frage, um was für eine Gesellschaft, einen Verein oder eine juristische Person es sich handelt, sowie die Fähigkeit, Trägerin von Rechten und Pflichten zu sein und durch eigenes Handeln Rechtswirkungen hervorzurufen. Das Gesellschaftsstatut gilt insbesondere für Fragen der inneren Verfassung der Gesellschaft und ihres Auftretens im Rechtsverkehr sowie für die Haftung der Gesellschaft und ihrer Mitglieder.
Die Partei- und Prozessfähigkeit, d. h. die Fähigkeit einer Gesellschaft, eines Vereins oder einer juristischen Person, Partei in einem gerichtlichen Verfahren zu sein und Prozesshandlungen wirksam vorzunehmen, unterfällt hingegen nicht dem Gesellschaftsstatut. Es handelt sich um eine verfahrensrechtliche Frage, für die das jeweils am Gerichtsort anwendbare Prozessrecht (lex fori) maßgeblich ist. Dennoch dürften sich durch das Gesetz schwierige verfahrensrechtliche Probleme mit Drittlandsgesellschaften, wie jüngst vor dem OLG Hamburg (Zwischenurteil vom 30.03.2007 – 11 U 231/04 – Rechtsfähigkeit einer Limited nach dem Recht der Isle of Man, NZG 2007, 597 ff.) vermeiden lassen.
Beispiel:Auf eine in Großbritannien im Handelsregister eingetragene Private Limited Company kommt englisches Recht zur Anwendung, auch wenn die Gesellschaft ihre Tätigkeit ausschließlich in einer Niederlassung in Deutschland ausübt.
Die Voraussetzungen, das Verfahren und die Wirkungen einer Umwandlung im Wege der Verschmelzung, Spaltung, Vermögensübertragung oder des Formwechsels richten sich für jede der beteiligten Gesellschaften, Vereine oder juristischen Personen ihrem Gesellschaftsstatut. Die Kumulation der beteiligten Rechtsordnungen entspricht den Regelungen der Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten (Verschmelzungsrichtlinie – ABl. EU Nr. L 310 vom 25. November 2005 S. 1 ff., vgl. z. B. Artikel 4 Abs. 1 b)).
Die Gesellschaft kann unter Wahrung ihrer Identität dem Recht eines anderen Staates unterstellt werden (grenzüberschreitender Rechtsformwechsel).
Beispiel:Eine deutsche GmbH kann unter bestimmten Voraussetzungen ihren Sitz nach Frankreich verlegen, indem sie sich als „Société à responsabilité limitée“ (S.A.R.L.) in das französische Register eintragen und im deutschen Handelsregister löschen lässt.
Vorsaussetzung ist aber insbesondere, dass die beiden beteiligten Rechtsordnungen den Statutenwechsel generell und auf dem gewählten Wege überhaupt zulassen. Ist eine dieser Voraussetzungen nicht gegeben, bleibt es bei der bisher anwendbaren Rechtsordnung. Sollen Gesellschaften, Vereine oder juristische Personen in diesem Fall trotzdem der Rechtsordnung eines anderen Staates unterliegen, müssen sie aufgelöst und nach den Rechtsvorschriften dieses anderen Staates neu gegründet werden.
Die vorgesehenen Regelungen beruhen in wesentlichen Teilen auf Vorarbeiten der Sonderkommission „Internationales Gesellschaftsrecht“ des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht.
Der Gesetzentwurf wurde den Ländern, Fachkreisen und Verbänden zur Stellungnahme übersandt. Eine Beschlussfassung im Kabinett ist für das Frühjahr 2008 beabsichtigt.
Quelle: Pressestelle des Bundesministeriums der Justiz, Mohrenstr. 37, 10117 Berlin und Referentenentwurf des „Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen“ vom 07. Januar 2008
Mitgeteilt von Rechtsanwalt & Steuerberater Andreas Jahn, MEYER-KÖRING v.DANWITZ PRIVAT – Bonn
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