05.01.2001 -

In der arbeitsrechtlichen Literatur war es bislang höchst umstritten, ob ein allgemeines betriebsverfassungsrechtliches Übergangsmandat in entsprechender Anwendung der bereits vorhandenen spezialgesetzlichen Vorschriften anzuerkennen ist. Mit dieser für die Praxis besonders wichtigen Frage hatte sich das Bundesarbeitsgericht in einem erst jetzt veröffentlichten Beschluss zu beschäftigen. Es hat dabei ein solches Übergangsmandat auch für das Betriebsverfassungsgesetz im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung grundsätzlich bejaht (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 31. Mai 2000 – 7 ABR 78/98 -).   

 

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. Die beteiligten Arbeitgeber bildeten dabei einen sogenannten gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen (kurz: Gemeinschaftsbetrieb), für den ein einheitlicher Betriebsrat gewählt worden war. Da man weder mit der im Gemeinschaftsbetrieb zuständigen Gewerkschaft noch mit dem Betriebsrat eine Einigung über die Einführung von Samstagsarbeit und eine Änderung der Arbeitszeit erzielen konnte, wurde ein weiteres Unternehmen ausgegründet.

Diesem neugegründeten Unternehmen wurde dann ein Betriebsbereich im Wege eines Betriebsteilsübergangs übertragen. Von diesem Betriebsteilsübergang waren 37 Arbeitnehmer betroffen, die dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse nach § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht widersprachen. Sie arbeiteten wie zuvor in der bisherigen Produktionshalle und an denselben Maschinen für Aufträge eines der am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen.

Nach der Ausgründung fand dann in dem neuen Unternehmen eine Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes statt. Auf dieser Versammlung wurde ein aus drei Mitgliedern bestehender Wahlvorstand gewählt, der anschließend die Betriebsratswahl einleitete. Die Beschäftigten wählten am 14. Juli 1997 einen aus drei Mitgliedern bestehenden Betriebsrat. Diese Wahl wurde von der antragsstellenden Gewerkschaft vor dem Arbeitsgericht angefochten. Die ein Jahr später erfolgte Wahl des nach Ablauf seiner regulären Wahlperiode im Gemeinschaftsbetrieb gebildeten Betriebsrats wurde hingegen nicht angefochten.

Die antragstellende Gewerkschaft war in dem Verfahren der Auffassung, die gesonderte Wahl eines Betriebsrats in dem abgespaltenen Betriebsteil sei schon deshalb fehlerhaft, da sämtliche Unternehmen einschließlich des neuausgegründeten einen Gemeinschaftsbetrieb bildeten. Sollte es sich hingegen doch um einen selbständigen Betrieb gehandelt haben, habe die Betriebsratswahl wenigstens durch den Betriebsrat des Gemeinschaftsunternehmens eingeleitet werden müssen, der dazu im Wege eines Übergangsmandats verpflichtet gewesen wäre. Keinesfalls sei hingegen die Betriebsversammlung zur Einleitung der Wahl befugt gewesen.

Das Arbeitsgericht hat dem Wahlanfechtungsantrag der Gewerkschaft stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sich der Auffassung des Arbeitsgerichts angeschlossen.

 

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:

Im Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht sind die angefochtenen Beschlüsse der Vorinstanzen aufgehoben und das Verfahren ist an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen worden.

 

I. Sonderfall der Anfechtung von Betriebsratswahlen in einem Gemeinschaftsbetrieb

In einem ersten Schritt war zunächst zu prüfen, ob es sich bei sämtlichen beteiligten Unternehmen einschließlich des ausgegründeten um einen Gemeinschaftsbetrieb gehandelt hat. Die Gewerkschaft hatte ja damit argumentiert, dass in dem selbständigen Betriebsteil bereits deshalb kein eigenständiger Betriebsrat gewählt werden durfte, weil dieser dem Gemeinschaftsbetrieb zuzuordnen war mit der Folge, dass es sich insgesamt um einen einheitlichen Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetz handelt. Für einen einheitlichen Betrieb kann aber auch nur ein Betriebsrat existieren, so dass die Wahl unter Verkennung des Betriebsbegriffes zu Stande gekommen wäre.

Es hätte also zwingend geprüft werden müssen, ob die Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb bilden. Dies hatte das Landesarbeitsgericht versäumt, so dass die Entscheidung bereits aus diesem Grunde zurückzuweisen war. Dabei war allerdings auch der antragstellenden Gewerkschaft ein Verfahrensfehler vorzuwerfen, denn sie hatte es versäumt, den ein Jahr später in dem Gemeinschaftsbetrieb nach Ablauf der Wahlperiode neugewählten Betriebsrat bzw. dessen Wahl ebenfalls anzufechten. Da sie die Anfechtung der Betriebsratswahl unter anderem darauf gestützt hatte, dass in einem einheitlichen Betrieb unter Verkennung des (Gemeinschafts-)Betriebsbegriffs mehrere Betriebsräte für jeweils unselbständige Betriebsteile gewählt worden sind, hätte sie die Wahl aller Betriebsräte anfechten müssen. Allein die isolierte Anfechtung des neugebildeten Betriebsrats wäre nur statthaft gewesen, soweit der durch Abspaltung aus dem Gemeinschaftsbetrieb hervorgegangene Betriebsteil als selbständiger Betrieb geführt worden wäre. Durch die Nichtanfechtung der Wahl in dem eigentlichen Gemeinschaftsbetrieb existierte aber nun jedenfalls dort ein rechtlich wirksam gebildeter Betriebsrat, so dass selbst die Annullierung der Wahl des anderen Betriebsrats keine Neuwahlen in dem gesamten Gemeinschaftsbetrieb gerechtfertigt hätte. Die gegen die Wahl eines einzelnen Betriebsrats gerichtete Anfechtung ist deshalb in einem solchen Fall unzulässig.

Begriff des Gemeinschaftsbetriebs

Das Landesarbeitsgericht wird also nochmals zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen eines Gemeinschaftsbetriebs tatsächlich vorliegen. Dabei hat das Bundesarbeitsgericht nochmals seine ständige Rechtsprechung zum Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs bekräftigt. Danach ist von einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen auszugehen, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Dazu müssen sich die beteiligten Unternehmen zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben.

Diese einheitliche Leitung muss sich auf die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in den sozialen und personellen Angelegenheiten erstrecken. Eine lediglich unternehmerische Zusammenarbeit genügt nicht. Vielmehr müssen die Funktionen des Arbeitgebers in den sozialen und personellen Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen wahrgenommen werden.

 

Vorschau: Geplante Reform des Betriebsverfassungsgesetzes!

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang noch auf den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes, der uns in Form des Referentenentwurfs des Bundesarbeitsministeriums vom 4. Dezember 2000 vorliegt. Danach ist die Neuaufnahme eines Absatzes 2 in § 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geplant, der folgenden Wortlaut haben soll:

         “ (2)         Ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen wird vermutet, wenn

         1. zur Verfolgung arbeitstechnischer Zwecke die Betriebsmittel sowie die Arbeitnehmer von den Unternehmen gemeinsam eingesetzt werden oder

         2. die Spaltung eines Unternehmens zur Folge hat, dass von einem Betrieb ein oder mehrere Betriebsteile einem an der Spaltung beteiligten anderen Unternehmen zugeordnet werden, ohne dass sich dabei die Organisation des betroffenen Betriebs wesentlich ändert.”

 

II. Betriebsverfassungsrechtliches Übergangsmandat!

Obwohl das Bundesarbeitsgericht bereits wegen der fehlenden Prüfung des Gemeinschaftsbetriebs die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen hat, nahm es dennoch zu der Frage eines allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Übergangsmandats ausführlich Stellung. Kommt nämlich das Landesarbeitsgericht zu der Auffassung, dass der aus dem Gemeinschaftsbetrieb abgespaltene Betriebsteil als selbständiger Betrieb geführt wird, wäre die Wahlanfechtung nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts zulässig und begründet. Für diesen Fall hätte nämlich der Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebs im Wege eines Übergangsmandats einen Wahlvorstand bestellen müssen, so dass die Wahl dieses Wahlvorstands auf der Betriebsversammlung zur Anfechtung der Wahl berechtigte.

Ein Übergangsmandat eines Betriebsrats zur Bestellung eines Wahlvorstands für die Einleitung von Betriebsratswahlen in einem anderen Betrieb ist im Betriebsverfassungsgesetz nicht geregelt. Sämtliche der dem Betriebsrat zugewiesenen betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben sind allein betriebsbezogen. Es wird stets an die Zuständigkeit eines Betriebsrats und an die Identität desjenigen Betriebs angeknüpft, für den er gewählt worden ist. Zur Einleitung von Betriebsratswahlen in einem anderen betriebsratsfähigen Betrieb ist er hingegen nicht befugt.

Diese klare gesetzliche Regelung führt allerdings dazu, dass bei einer betrieblichen Umorganisation, die eine Änderung der bisherigen Betriebsidentität zur Folge hat, das Amt des Betriebsrats endet oder er für einen Teil der bisher von ihm vertretenen Arbeitnehmer die Zuständigkeit verliert. Werden also die von der Betriebsumorganisation betroffenen Arbeitnehmer nicht wieder in einem betriebsratsfähigen Betrieb eingegliedert, werden sie bis zur Neuwahl eines Betriebsrats betriebsverfassungsrechtlich nicht mehr repräsentiert. Sie verlieren damit – jedenfalls für eine Über­gangszeit – den kollektiven Schutz des Betriebsverfassungsgesetzes.

Dieses dem Betriebsverfassungsgesetz innewohnende Prinzip widerspricht allerdings nach Auffassung des Bundesarbeitsgericht einer Vielzahl von Sondervorschriften, die der Gesetzgeber seit 1990 erlassen hat und die ein Übergangsmandat des Betriebsrats vorsehen. Solche Sondervorschriften finden sich in dem Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen (SpTrUG) vom 5. April 1991, in dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG) vom 23. September 1990, in dem Deutsche Bahn Gründungsgesetz (DBGrG) vom 27. Dezember 1991 und insbesondere in § 321 des Umwandlungsgesetzes (UmwG) vom 28. Oktober 1994. Nach all diesen Vorschriften bleibt der bisherige Betriebsrat weiter im Amt und führt die Geschäfte der ihm bislang zugeordneten Betriebsteile drei bzw. sechs Monate weiter.

Das BAG erkennt aus diesen gesetzlichen Bestimmungen über das Übergangsmandat aus den Jahren 1990 bis 1994 die Vorstellung des Gesetzgebers, dass betriebsratslose Zeiten infolge betrieblicher Umstrukturierung grundsätzlich vermieden werden sollen. Die dadurch entstandene Schutzlücke sei deshalb durch die Annahme eines Übergangsmandats im Wege der Rechtsanalogie zu schließen. Sachliche Gründe für unterschiedliche Regelungen zum Übergangsmandat im Betriebsverfassungsgesetz einerseits und in den genannten Gesetzen andererseits bestünden nicht; insbesondere sei diese unterschiedliche Handhabung nicht mit dem allgemeinen Prinzip der Gleichbehandlung vereinbar.

Allerdings lässt der Senat das von ihm im Wege der Rechtsfortbildung anerkannte Übergangsmandat nur für die Dauer von drei Monaten bestehen. Diese Frist genügt den durch die Wahlordnung 1972 vorgegebenen Fristen für die Einleitung und die Durchführung einer Betriebsratswahl und ist deshalb nach Auffassung des BAG auch im Betriebsverfassungsgesetz angemessen.

Mit dieser grundsätzlichen Anerkennung eines Übergangsmandats schließt sich nun auch wieder der Kreis zu dem hier zu besprechenden Fall. Der Betriebsrat, dessen Wahl angefochten war, wurde nämlich gerade aufgrund einer Betriebsversammlung mit dem dort gebildeten Wahlvorstand gewählt und eben nicht durch ein Übergangsmandat des im Gemeinschaftsbetrieb gebildeten Betriebsrats. Damit ist aber die Vorschrift des § 16 BetrVG verletzt, was die Anfechtung der Wahl rechtfertigt.

 

Schlussbemerkung:

Letztlich kann der Streit dahinstehen, denn die Praxis wird sich nun mit dem Übergangsmandat, sei es aufgrund der neuen Rechtsprechung des BAG oder sei es aufgrund des bereits zitierten Referentenentwurfs zum Betriebsverfassungsgesetz vom 4. Dezember 2000, auseinander setzen müssen. In das BetrVG soll nämlich nach dem Inhalt des Entwurfs ein neuer § 21 a (Übergangsmandat) eingefügt werden. Der Gesetzgeber kommt mit der Schaffung eines solchen Übergangsmandats im Übrigen einer europarechtlichen Vorgabe (Artikel 5 der Richtlinie 88/50/EG des Rates vom 29. Juni 1998) nach, so dass der bislang in der Literatur geführte Streit über die Anerkennung eines allgemeinen Übergangsmandates schon bald seine Grundlage verliert.

 

Leitsätze der Entscheidung:

1. Wird eine Wahlanfechtung darauf gestützt, dass unter Verkennung des Betriebsbegriffs in einem Gemeinschaftsbetrieb ein weiterer Betriebsrat für einen unselbständigen Betriebsteil gewählt worden ist, muss eine nachfolgende Betriebsratswahl im Gemeinschaftsbetrieb ebenfalls angefochten werden. Das gilt auch, wenn in dem isolierten Wahlanfechtungsverfahren weitere Verfahrensverstöße geltend gemacht werden, die unabhängig von einer Verkennung des Betriebsbegriffs zur Unwirksamkeit der Betriebsratswahl führen (im Anschluss an BAG 7. Dezember 1988 – 7 ABR 10/88 -, BAGE 60, 276 = AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 15).

2. Führt die Abspaltung eines betriebsratsfähigen Betriebsteils dazu, dass die von der Abspaltung betroffenen Arbeitnehmer betriebsverfassungsrechtlich nicht mehr repräsentiert werden, hat der Betriebsrat des bisherigen Betriebs in dem abgespaltenen Betriebsteil unverzüglich die Wahl eines Betriebsrats einzuleiten. Dazu ist er aufgrund eines im Betriebsverfassungsgesetz nicht geregelten, aber durch richterliche Rechtsfortbildung anzuerkennenden Übergangsmandats verpflichtet.

 

Verfasser: Dr. Nicolai Besgen

 

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