
In nahezu allen Tarifverträgen und auch Arbeitsverträgen finden sich Regelungen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen der Regelaltersgrenze. Diese Regelungen sind nach der Rechtsprechung zulässig und dürfen vereinbart werden. Welche Auswirkungen hat dies aber auf ein laufendes Bewerbungsverfahren, wenn ein Bewerber bereits die Altersgrenze überschritten hat und sich dennoch auf eine Stellenanzeige bewirbt? Das Bundesarbeitsgericht hat in einem aktuellen Urteil diese Frage mit erfreulicher Klarheit für die Praxis entschieden (BAG Urt. v. 8.5.2025, 8 AZR 299/24). Wir möchten die wichtige Entscheidung hier für die Praxis besprechen.
Der Fall:
Bei dem beklagten Arbeitgeber handelt es sich um eine Volkshochschule in einem Zweckverband. Der Arbeitgeber ist Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband. Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach dem einschlägigen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für den Bereich Verwaltung (TVöD-V). Dort heißt es auszugsweise zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen der Regelaltersgrenze:
„§ 33
Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung
(1) Das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf,
a) mit Ablauf des Monats, in dem die/der Beschäftigte das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersgrenze vollendet hat, es sei denn, zwischen dem Arbeitgeber und dem/der Beschäftigten ist während des Arbeitsverhältnisses vereinbart worden, den Beendigungszeitpunkt nach § 41 S. 3 SGB VI hinauszuschieben,
…
(5) Soll die/der Beschäftigte, deren/dessen Arbeitsverhältnis nach Absatz 1 Buchst. A geendet hat, weiterbeschäftigt werden, ist ein neuer schriftlicher Arbeitsvertrag abzuschließen. Das Arbeitsverhältnis kann jederzeit mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsende gekündigt werden, wenn im Arbeitsvertrag nichts anderes vereinbart ist.“
Bewerbung des Klägers
Der Arbeitgeber schrieb im Februar 2023 eine Stelle als Sachbearbeiter/in für die Verwaltung der Volkshochschule (m/w/d) in Vollzeit oder Teilzeit aus.
Der am 14. Mai 1956 geborene und mit einem Grad von 60 als schwerbehinderter Mensch anerkannte Kläger bewarb sich auf diese Stelle. Mit seiner Bewerbung wies er auf seine Schwerbehinderung hin.
Im März 2023 stellte der Arbeitgeber eine 1976 geborene Bewerberin befristet für ein Jahr ein. Dem Kläger wurde mit E-Mail vom 6. April 2023 eine Absage erteilt. Er hatte bereits im Zeitpunkt der Einreichung seiner Bewerbung die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überschritten. Demgegenüber hatten alle anderen 23 Personen, die sich auf die von dem Arbeitgeber ausgeschriebene Stelle bewarben, die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht.
Der Kläger machte geltend, er sei als schwerbehinderter Mensch diskriminiert worden, weil er nicht nach § 165 S. 3 SGB IX zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei. Zudem hat er geltend gemacht, man habe ihn auch wegen seines Alters benachteiligt. Das Erreichen der Regelaltersgrenze lasse die Einladungspflicht nicht entfallen. Der Arbeitgeber wies alle Forderungen zurück.
Im Klageverfahren hat der Kläger eine Entschädigung in Höhe von 8.176,98 € verlangt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat auch das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.
Die Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht hat die Revision des Klägers ebenfalls zurückgewiesen.
I. Regelaltersgrenze als Altersdiskriminierung?
Der Arbeitgeber hatte sich bei der Stellenabsage auf das Erreichen der Regelaltersgrenze, damit auf das Alter des Bewerbers, berufen. Bei dem Alter handelt es sich um ein Diskriminierungsmerkmal nach § 1 AGG. Das BAG hat aber klargestellt, dass Altersgrenzen individualvertraglich oder auch tarifvertraglich wirksam vereinbart werden können. Das legitime Ziel von Altersgrenzen liegt in der besseren Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen mittels einer Förderung des Zugangs jüngerer Menschen zu Beschäftigung. Jüngeren Menschen soll mit dem Ausscheiden Älterer aus dem Erwerbsleben auch ermöglicht werden, die Berufserfahrung anzusammeln, die im Wege eines beruflichen Aufstiegs zu erweiterten Gestaltungsmöglichkeiten und höherer Vergütung führen kann. Dies ist Teil der Generationengerechtigkeit und dient letztlich der gesamten Gesellschaft.
Die Volkshochschule war hier an den TVöD-V gebunden. Die Zielsetzung der ausgewogenen Beschäftigungsverteilung entspricht den Regelungen des TVöD-V. Dieser Zielsetzung hatte sich auch die Volkshochschule im Bewerbungsverfahren angeschlossen.
Hinweis für die Praxis:
Die Tatsache, dass weder in der Stellenausschreibung noch im ersten Ablehnungsschreiben die Gründe und Motivation mitgeteilt wurden, änderte daran nichts. Ein Bewerber, der sich bei einem öffentlichen Arbeitgeber bewirbt, muss damit rechnen, dass dieser sich bei der Entscheidung über eine Stellenbesetzung an den Zielen einer für ihn einschlägigen Altersgrenzenregelung orientiert.
II. Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung?
Öffentliche Arbeitgeber trifft eine Einladungspflicht nach § 165 S. 3 SGB IX. Eine Einladung ist nach § 165 S. 4 SGB IX ausnahmsweise nur dann entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Verstößt der Arbeitgeber gegen diese Einladungspflicht, begründet dies regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung.
Hier war der Volkshochschule die Schwerbehinderung bei der Bewerbung bekannt. Der Kläger hatte darauf hingewiesen. Die Eignung für die Stelle fehlte ihm auch nicht offensichtlich, da er alle erforderlichen Voraussetzungen erfüllte.
Dennoch hat das BAG eine Einladungspflicht in der vorliegenden Konstellation abgelehnt und insoweit den Schutzzweck der Vorschrift teleologisch reduziert. Eine Pflicht zur Einladung eines schwerbehinderten Bewerbers besteht auch dann nicht, wenn der Bewerber die Regelaltersgrenze überschritten hat und die Ablehnung seiner Bewerbung aus diesem Grund eine nach § 10 S. 1 und S. 2 AGG gerechtfertigte Benachteiligung wegen des Alters darstellt.
So lag der Fall hier. Mit Zurückweisung der Bewerbung wegen des Erreichens der Regelaltersgrenze war, wie oben bereits dargestellt, zulässig. Eine Einladungspflicht erfüllt aber nicht mehr den gesetzgeberisch verfolgten Zweck, die Chancen des Bewerbers im Auswahlverfahren zu verbessern, wenn von vornherein feststeht, dass ein Bewerber, der die Regelaltersgrenze überschritten hat, nicht eingestellt werden soll. Die Einladungspflicht läuft dann ins Leere.
Hinweis für die Praxis:
Der Zweck von § 165 S. 3 SGB IX gebietet damit ein einschränkendes Verständnis dahingehend, dass eine Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, nicht besteht, wenn er den Bewerber zulässigerweise wegen des Überschreitens der Regelaltersgrenze ablehnen darf.
Fazit:
Zunächst einmal kann jedem Arbeitgeber nur dringend empfohlen werden, Altersgrenzen in Arbeitsverträgen zu vereinbaren bzw. darauf zu achten, dass solche Altersgrenzen wirksam, bei Anwendung von Tarifverträgen, in Bezug genommen werden. Arbeitsverhältnisse enden nicht automatisch mit dem Rentenalter, sondern nur dann, wenn eine arbeitsvertragliche oder tarifvertragliche Vorschrift dies vorsieht und dies auch vereinbart ist. Bestehen solche Regelungen dürfen Arbeitgeber im Wege der Generationengerechtigkeit Bewerber, die dieses Alters bereits überschritten haben, vom Bewerbungsverfahren ausschließen. Eine Diskriminierung wegen des Alters liegt dann nicht vor. Ebenso wenig besteht eine Einladungspflicht für schwerbehinderte Menschen bei öffentlichen Arbeitgebern. Voraussetzung ist allerdings, dass dies einheitlich gehandhabt wird. Durchbrechen Arbeitgeber mit abweichenden Einstellungen dieses Muster, kann dann aus diesem Grund eine Diskriminierung vorliegen. Nur eine einheitliche Handhabung schließt insoweit Rechtsrisiken aus.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
Auszeichnungen
-
TOP-Wirtschaftskanzlei für Arbeitsrecht(FOCUS SPEZIAL 2025, 2024, 2023, 2022, 2021, 2020)
-
TOP-Kanzlei für Arbeitsrecht(WirtschaftsWoche 2025, 2024, 2023, 2022, 2021, 2020)
-
TOP-Anwältin für Arbeitsrecht: Ebba Herfs-Röttgen(WirtschaftsWoche, 2023, 2022, 2021, 2020)
-
TOP-Anwalt für Arbeitsrecht: Prof. Dr. Nicolai Besgen(WirtschaftsWoche 2023, 2020)
Autor
UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME
UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME
Sind Sie unsicher, ob Sie mit Ihrer Angelegenheit bei uns richtig sind?
Nehmen Sie gerne unverbindlich Kontakt mit uns auf und schildern uns Ihr Anliegen.
Wir freuen uns auf Ihren Anruf.