02.12.2025

BFH-Urteil vom 27.08.2025 – II R 1/23: Anlaufhemmung bei Schenkungsteuer & Werterhöhung von GmbH-Anteilen: Was das BFH-Urteil für die Praxis bedeutet

BFH klärt Anlaufhemmung bei Schenkungsteuererklärungen und die steuerpflichtige Werterhöhung von GmbH-Anteilen durch Drittleistungen. Präzise Analyse für Berater.
Anlaufhemmung bei Schenkungsanzeigen: Was Steuerberater wissen sollten! (credits: adobestock)

Wenn Schenkungen im Umfeld von Kapitalgesellschaften erfolgen, treffen zwei komplizierte Materien aufeinander: die strengen Anzeigepflichten des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts sowie die besonderen Bewertungs- und Zuordnungsregeln für Leistungen an Kapitalgesellschaften. Das BFH-Urteil vom 27.08.2025 (II R 1/23) beleuchtet beide Bereiche in ungewöhnlich deutlicher Weise. Der Fall dreht sich um eine Millionenfinanzierung für den Grundstückserwerb durch eine GmbH, die über eine Schenkung an deren alleinigen Gesellschafter gesteuert wurde – und später zu erheblichen Differenzen über die Festsetzungsfrist, den relevanten Bewertungsstichtag und die steuerliche Einordnung des Vorgangs führte. Die Entscheidung zeigt, wie präzise Schenkungsanzeigen und Schenkungsteuererklärungen zeitlich wirken und wie konsequent der BFH den § 7 Abs. 8 ErbStG als eigenständigen Schenkungstatbestand anwendet.

Der BFH stellt klar, dass eine Schenkungsanzeige die Anlaufhemmung nicht beendet, wenn das Finanzamt eine Steuererklärung anfordert – und dass zweckgebundene Mittelzuflüsse an eine GmbH eine schenkungsteuerpflichtige Werterhöhung der Gesellschafteranteile auslösen.

I. Sachverhalt

    Der Kläger war alleiniger Gesellschafter der A-GmbH, deren Unternehmenszweck die Verwaltung von Immobilien war. Seine Mutter schenkte ihm mit Vertrag vom 31.07.2014 4 Mio. €, allerdings unter der auflagengebundenen Verpflichtung, den Betrag – abzüglich der voraussichtlich anfallenden Schenkungsteuer – als Eigenkapital in die GmbH einzuzahlen, damit diese ein Grundstück (Objekt „Z“) erwerben könne. Am 22.09.2014 erhielt der Kläger die 4 Mio. € auf sein Privatkonto.

    Bereits zuvor hatte die GmbH mit notariellem Vertrag vom 20.08.2014 das Grundstück für 3,25 Mio. € erworben; der Kaufpreis war spätestens am 31.12.2014 zu zahlen. Die Eigentumsumschreibung war an die Zahlung gekoppelt.

    Anzeige und erste Steuererklärung

    Am 17.12.2014 zeigte der Kläger den Vorgang beim Finanzamt an (§ 30 ErbStG) und wies auf eine Werterhöhung seiner GmbH-Anteile um 1.531.885 € hin. Zudem erklärte er eine Vorschenkung von 400.000 € aus 2012.

    Am 30.12.2014 bezahlte die GmbH den Kaufpreis. Der Kläger hatte zuvor 3,7 Mio. € der erhaltenen 4 Mio. € an die GmbH weitergeleitet; 300.000 € verblieben zur Begleichung der Schenkungsteuer.

    Auf Anforderung reichte der Kläger am 26.02.2015 die Schenkungsteuererklärung ein. Das Finanzamt setzte zunächst am 05.03.2015 Schenkungsteuer fest – unter Vorbehalt der Nachprüfung.

    Weitere Erklärung, geänderter Wert, höhere Steuer

    2019 forderte das Finanzamt erneut zur Abgabe einer Schenkungsteuererklärung auf; der Kläger gab zusätzlich eine weitere Vorschenkung (300.000 €) an.

    Am 12.11.2019 erließ das Finanzamt einen neuen Bescheid über 315.042 €. Nach Mitteilung des Betriebsfinanzamts wurde der Grundbesitzwert auf 2.100.574 € aktualisiert.

    Daraufhin erhöhte das Finanzamt mit Bescheid vom 08.01.2020 die Steuer auf 460.107 €. Die Wertsteigerung der GmbH-Anteile wurde nun mit 2.295.382 € angesetzt.

    Der Kläger erhob Einspruch und argumentierte: Die Festsetzungsfrist sei bereits abgelaufen, weil die Anzeige 2014 erfolgt sei.

    Das Finanzgericht Münster (FG Münster, Urteil vom 24.11.2022 – 3 K 3384/20 Erb) wies die Klage ab. Der Kläger legte Revision ein.

    II. Der Fall wirf interessante Rechtsfragen auf

      Das Verfahren betraf zwei zentrale Problemkomplexe:

      1. Anlaufhemmung und Beginn der Festsetzungsfrist (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO)

      Strittig war, ob bereits die Schenkungsanzeige (§ 30 ErbStG) die Anlaufhemmung beendet, obwohl das Finanzamt eine Schenkungsteuererklärung angefordert hatte. Die Frage lautete: Beginnt die Festsetzungsfrist bereits mit der Anzeige oder erst mit Abgabe der Schenkungsteuererklärung?

      2. Schenkungsteuerliche Behandlung der Zahlung an die GmbH (§ 7 Abs. 8 ErbStG)

      Weiter war zu klären:

      • Liegt eine steuerbare Werterhöhung der GmbH-Anteile vor?
      • Wie ist die Mutter als Zuwendende einzuordnen?
      • Welcher Bewertungsstichtag gilt (§ 9 ErbStG)?

        III. Der BFH bestätigt die Entscheidung der Vorinstanz vollständig und weist die Revision zurück.

        1. Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO

        Zentraler Punkt ist die Frage, wann die Festsetzungsfrist beginnt. Der BFH wiederholt und bestätigt seine gefestigte Rechtsprechung:

        Die Anlaufhemmung endet … erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres nach dem Jahr der Steuerentstehung.“

        Das heißt: Anzeige genügt nicht zur Beendigung der Anlaufhemmung

        Der Prozess der Anlaufhemmung dient unterschiedlichen Zwecken:

        Die Anzeige ermöglicht dem Finanzamt lediglich zu prüfen, ob eine Erklärung anzufordern ist. Erst die Steuererklärung enthält die detaillierte Aufstellung der steuerlich relevanten Werte. Diese unterschiedlichen Funktionen führen dazu, dass erst die Einreichung der angeforderten Steuererklärung dem Finanzamt die Kenntnis vermittelt, die zur Beendigung der Anlaufhemmung führt.

        Im Streitfall:

        • Anzeige: 17.12.2014
        • Erklärung: 26.02.2015
        • Fristbeginn: 31.12.2015
        • Ende der vierjährigen Festsetzungsfrist: 31.12.2019

        Der Bescheid vom 12.11.2019 war daher rechtzeitig.

        2. Anwendung des § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG

        Der BFH bejaht eine schenkungsteuerpflichtige Werterhöhung der GmbH-Anteile. Die Zahlung von 3,7 Mio. € stellt eine Leistung der Mutter an die GmbH dar, die zu einer Werterhöhung der Anteile des Klägers führt.

        Dabei spielt es keine Rolle, dass die Mutter nicht Gesellschafterin der GmbH war, denn Leistender kann auch ein gesellschaftsfremder Dritter sein. Der Kläger war lediglich „Mittelsperson“, da er den erhaltenen Betrag zweckgebunden unmittelbar an die GmbH weiterleiten musste.

        3. Bewertung nach Substanzwertermittlung (§ 11 BewG)

        Mangels aktueller Verkäufe unter Fremden wurde der Wert der GmbH-Anteile nach Substanzwertgrundsätzen (hier: § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG als Mindestwert) bestimmt:

        • Zahlung: 3,7 Mio. €
        • zzgl. Grundbesitzwert: 2.100.574 €
        • Abzüglich Kaufpreis & Nebenkosten: 3.505.192 €
        • = Wertsteigerung: 2.295.382 €

        Der BFH bestätigt diesen Wert ausdrücklich.

        4. Bewertungsstichtag: 31.12.2014

        Nach § 11 ErbStG ist für die Wertermittlung, soweit im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz nichts anderes bestimmt ist, der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer maßgebend (Bewertungsstichtag). Bei Schenkungen unter Lebenden entsteht die Steuer gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG mit dem Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung.

        Ist Gegenstand der Zuwendung eine Leistung an eine Kapitalgesellschaft im Sinne des § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG, ist hinsichtlich der Entstehung der Steuer auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Werterhöhung in den Gesellschaftsanteilen aufgrund der Leistung an die Kapitalgesellschaft eingetreten ist. Soweit die Leistung in der Bereitstellung von Mitteln zum Erwerb eines Grundstücks durch die Kapitalgesellschaft besteht, kommt es für den nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG maßgeblichen Zeitpunkt auf die Werterhöhung der Anteile der Gesellschafter durch das von der Kapitalgesellschaft erworbene Grundstück an.“

        Der maßgebliche Zeitpunkt der Werterhöhung ist somit der Tag des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums auf die GmbH:

        • Zahlung: 30.12.2014
        • wirtschaftliches Eigentum: 31.12.2014
        • Somit: Steuer entsteht am 31.12.2014

        IV. Praktische Bedeutung für Steuerberater und Steueranwälte

          Das Urteil verhindert Missverständnisse in der Beratungspraxis. Auch wenn Mandanten frühzeitig Anzeigen erstatten, endet die Anlaufhemmung erst mit Abgabe der angeforderten Steuererklärung. Das kann die Festsetzungsfrist um mehrere Jahre verlängern – und ist bei Schenkungen mit hohen Werten regelmäßig entscheidend.

          Berater müssen insbesondere prüfen:

          • Zweckbindungen in Schenkungsverträgen
          • Weiterleitungsverpflichtungen
          • Innenverhältnisse zwischen Gesellschafter und GmbH
          • Einfluss auf Substanz- oder Ertragswert der Gesellschaft

          Das Urteil zeigt erneut, dass wirtschaftliches Eigentum nicht erst mit Grundbucheintrag, sondern bereits mit erfüllter Kaufpreiszahlung übergeht.

          Wie im Streitfall (700.000 € Vorschenkungen) beeinflussen Vorschenkungen die Steuerlast erheblich. Berater sollten hier systematische Dokumentation und Zusammenrechnung sicherstellen.


          Autor: RA & StB Andreas Jahn

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