
Das AGG schützt bekanntlich vor Diskriminierungen u.a. wegen des Geschlechts. Diskriminierungen können nach § 15 Abs. 2 AGG zu einem Entschädigungsanspruch führen. Dieser kann auch dann erfüllt sein, wenn der Arbeitgeber geeignete Schutzmaßnahmen bei Diskriminierungen unterlässt. Einen solchen Fall hatte nun das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg zu entscheiden (LAG Baden-Württemberg v. 20.11.2024, 10 Sa 13/24). Die interessante Entscheidung möchten wir hier für die Praxis aufbereiten.
Der Fall (verkürzt):
Die klagende Arbeitnehmerin war bei dem beklagten Arbeitgeber seit März 1992 zunächst als Architektin und zuletzt im Vertrieb tätig. Ihre monatliche Vergütung betrug durchschnittlich 14.050,00 € brutto.
Bei dem beklagten Arbeitgeber war schon seit Juni 2019 eine Bauinteressentin registriert. Dieser Interessentin wurde die Klägerin als Beraterin zugeordnet. Im Februar 2023 fragte die Klägerin telefonisch bei der Bauinteressentin wegen der Entwicklung ihres Bauvorhabens nach und bat um Terminvorschläge. Zwei Tage später erhielt die Klägerin von ihrem Vorgesetzten, dem Regionalleiter, die Information, dass die Bauinteressentin telefonisch mitgeteilt habe, keine Frau als Beraterin zu wollen. Daraufhin wurde die Bauinteressentin auf den Regionalleiter „überschrieben“.
Die Klägerin meldete sich im Anschluss bei der bestehenden AGG-Beschwerdestelle im Unternehmen. Kurz darauf schrieb sie zudem den Kontakt mit der Bauinteressentin wieder auf sich um und schrieb die Kundin erneut an. Die Bauinteressentin meldete sich dann nochmals bei dem Regionalleiter und bestand darauf, nicht mehr von der Klägerin als Frau betreut werden zu wollen.
Käme es zu einem Vertragsschluss zwischen dem Arbeitgeber und der Bauinteressentin hätte die Klägerin hieraus eine Provision von insgesamt 32.000,00 € erzielen können.
Die AGG-Beschwerdestelle teilte der Arbeitnehmerin mit, dass zwar eine Benachteiligung durch die Äußerung der Bauinteressentin vorliege, das Unternehmen jedoch alle geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen gem. § 12 Abs. 4 AGG ergriffen habe, um dieser Benachteiligung entgegenzuwirken.
Daraufhin machte die Arbeitnehmerin eine Klage auf Schadensersatz und Entschädigung geltend. Zum einen wegen der entgangenen Provision, zum anderen wegen der Diskriminierung. Wegen der Diskriminierung verlangte sie eine Entschädigung in Höhe von sechs Bruttomonatsgehältern, mithin 84.300,00 €.
In der Folge einigten sich die Parteien zunächst im Rahmen eines Teilvergleiches auf die Zahlung der entgangenen Provision. Wegen der Diskriminierung des Entschädigungsanspruchs setzten sie den Rechtsstreit fort.
Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Zahlung einer Entschädigung zurückgewiesen. Das Verhalten der Bauinteressentin sei dem Arbeitgeber nicht zuzurechnen.
Die Entscheidung:
Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts aufgehoben und einen Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung in Höhe von 1.500,00 € zugesprochen.
I. Diskriminierung wegen des Geschlechts
Die Beklagte hat die Bauinteressentin aus dem Bestand der Klägerin entnommen und auf den Regionalleiter überschrieben. Damit hat sie die Betreuung durch die Klägerin entzogen. Auf diese Weise ist der Klägerin die Chance genommen worden, durch Betreuung der Bauinteressentin maximal zwei Vertragsabschlüsse zu generieren, aus denen ihr jeweils eine Provision von 16.000,00 € brutto zugestanden hätte. Damit hat die Klägerin eine weniger günstigere Behandlung erfahren als andere Arbeitnehmer in vergleichbarer Situation erfahren würden.
Schon der Entzug der Betreuung beinhaltete damit eine unmittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 1. S. 1 AGG. Dies begründet einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot und damit einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
II. Keine angemessene Reaktion auf den Kundenwunsch
Auslöser der Diskriminierung war nicht ein eigenes Verhalten des Arbeitgebers, sondern das Verlangen der Bauinteressentin nach einem Mann. Das Arbeitsgericht hat in 1. Instanz daher eine Benachteiligung abgelehnt. Auf das Verhalten der Bauinteressentin habe der Arbeitgeber keinen Einfluss. Das ist zwar so zutreffend. Dennoch hätte der Arbeitgeber hierauf angemessen reagieren müssen. Das Gesetz verlangt auch in Kundenbeziehungen eine angemessene Reaktion auf Diskriminierungen. Das muss nicht bedeuten, dass der Kundenauftrag abgelehnt wird. Auch das Interesse des Arbeitgebers an der Kundenbeziehung ist in angemessener Weise zu berücksichtigen. In jedem Fall muss aber deutlich werden, dass der Arbeitgeber die Benachteiligung durch Dritte nicht als unabänderlich hinnimmt oder sie sich gar zu eigen macht.
Hinweis für die Praxis:
Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber letztlich gar keine Maßnahmen ergriffen. Man hätte deutlich machen müssen, dass die Ablehnung der Arbeitnehmerin allein deshalb, weil es sich um eine Frau handelt, nicht widerspruchslos hingenommen wird. Man hätte auf die Bauinteressentin z.B. zugehen oder sie zu überzeugen versuchen können. Stattdessen hat der Arbeitgeber den Auftrag ohne weitere Bemühungen auf einen Mann umgeschrieben.
Fazit:
In bestehenden Kundenbeziehungen kann auch das Verhalten des Kunden diskriminierend sein und sich benachteiligend auf die Arbeitnehmer auswirken. In einem solchen Fall darf sich der Arbeitgeber nicht darauf beschränken, sich nicht verantwortlich zu fühlen. Vielmehr verlangt das AGG auch in solchen Fällen angemessene Reaktionsmöglichkeiten. Der Arbeitgeber muss seinen Schutzpflichten nach § 12 Abs. 4 AGG nachkommen und die geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten ergreifen. Anderenfalls entstehen Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG, die der Arbeitnehmer durchsetzen kann. Im vorliegenden Fall hat das Gericht allerdings den sehr hohen und überzogenen Entschädigungsanspruch von 84.300,00 € auf angemessene 1.500,00 € reduziert.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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