10.12.2025
BFH: Verzicht auf ein Nießbrauchsrecht bei vermieteter Immobilie ist steuerpflichtige Entschädigung nach § 24 Nr. 1 a EStG – keine steuerfreie Vermögensumschichtung.
Nießbrauch-Verzicht gegen Entgelt: Der BFH ändert die Rechtslage grundlegend (credits: adobestock).

Der entgeltliche Verzicht auf ein Nießbrauchsrecht an einer Immobilie gehört zu den besonders praxisrelevanten Gestaltungen rund um Familienimmobilien, Vermietungskonzepte und Nachfolgeplanungen. Doch wie ist das Entgelt für den Verzicht steuerlich einzuordnen? Handelt es sich um eine steuerneutrale Vermögensumschichtung – oder um eine steuerpflichtige Entschädigung?

Der IX. Senat des BFH hat diese bislang umstrittene Frage nun mit Urteil vom 10.10.2025 – IX R 4/24 grundlegend neu bewertet.

  • Wird der Nießbrauch tatsächlich zur Einkünfteerzielung genutzt, ist das Verzichtsentgelt eine steuerbare Entschädigung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG.

Der BFH wendet sich damit ausdrücklich gegen die ältere Rechtsprechung des X. Senats und gegen die bisherige Verwaltungsauffassung. Für Steuerberater, Steueranwälte, Nießbraucher und Gestalter ergeben sich daraus unmittelbare Konsequenzen für Vertragsgestaltung, steuerliche Prognosen und die Abgrenzung zu privaten Veräußerungsgeschäften.

I. Sachverhalt

Die Klägerin war lebenslang mit einem Nießbrauchsrecht an einem Grundstück in Z-Stadt ausgestattet. Eigentümerin des Grundstücks war eine Erbengemeinschaft, bestehend aus ihren Kindern. Die Klägerin trat als Vermieterin auf und erzielte hieraus Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Zunächst fand eine Vermietung des Grundstücks an einen Dritten statt.

Ab 2012 vermietete die Klägerin das Grundstück an die A-KG, deren Komplementärin sie selbst war. Aufgrund dieser Vermietung wurde das Nießbrauchsrecht Sonderbetriebsvermögen der Klägerin. Die Klägerin erzielte nun gewerbliche Einkünfte.

2018 schied sie aus der KG aus, wodurch das Nießbrauchsrecht wieder ins Privatvermögen überführt wurde. Die Mieteinnahmen gehörten fortan erneut zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.

Nachdem die Erbengemeinschaft das Grundstück verkauft hatte, verzichtete die Klägerin im Jahr 2019 mit notariellem Vertrag auf ihr Nießbrauchsrecht. Sie erhielt hierfür von einer weiteren Gesellschaft – an die das Grundstück zuletzt vermietet war und deren Anteile wiederum ihre Kinder hielten – eine Entschädigung in Millionenhöhe. Die Beteiligten waren sich einig, dass dieser Betrag teilweise entgeltlich und teilweise unentgeltlich (Schenkung der Kinder an die Klägerin) war.

Das Finanzamt qualifizierte den entgeltlichen Teil als privates Veräußerungsgeschäft nach § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG und setzte einen entsprechenden Veräußerungsgewinn an. Das FG Münster (Urteil vom 12.12.2023 – 6 K 2489/22 E) gab der Klage statt. Es sah keinen steuerbaren Tatbestand erfüllt.

Der BFH hob das Urteil auf und verwies die Sache zurück. Entscheidendes Ergebnis: Das FG hatte einen falschen rechtlichen Maßstab angewendet.

II. Entscheidungsgründe des BFH

Grundsatz: Entschädigung für entgehende Einnahmen

Der BFH rügt, dass das FG die Entschädigung nicht im Umfang des entgeltlichen Teils den steuerbaren Einnahmen aus § 24 Nr. 1 a EStG zugeordnet hat. Damit stellt der BFH klar: Der richtige Prüfungsmaßstab ist § 24 Nr. 1 a EStG – nicht § 23 EStG. Nach § 24 Nr. 1 a EStG gehören zu den Einkünften auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden sind.

Die Norm hat – so der BFH – klarstellende Bedeutung: Sie ordnet eine Entschädigung der Einkunftsart zu, deren Einnahmen sie ersetzt (Surrogationsprinzip):

Nutzt der Nießbraucher sein Recht dazu, das Grundstück an einen Dritten zu vermieten und hieraus Erträge zu erzielen, stellt die erhaltene Gegenleistung eine Entschädigung für die entgangenen Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung dar. Die Entschädigung tritt an die Stelle des ohne den Verzicht fortwährenden Zuflusses an Mieteinnahmen.

Damit misst der BFH dem Nießbrauchsrecht keinen eigenständigen, vom Nutzungsertrag ablösbaren Vermögenswert bei, wenn es konkret der Einkünfteerzielung dient. Der Wert des Rechts ist identisch mit dem Ertragswert.

Der IX. Senat distanziert sich mit dessen Zustimmung ausdrücklich von der Rechtsprechung des X. Senats (Urteil vom 25.11.1992, X R 34/89), die eine steuerfreie Vermögensumschichtung angenommen hatte. Auch die bisherige Verwaltungsauffassung (BMF 30.09.2013) ist damit überholt.

Keine Zwangssituation erforderlich

Ein wichtiger Zusatz: Der BFH verwirft das bisher durch die Rechtsprechung in § 24 Nr. 1 a EStG hineingelesene Erfordernis einer Druck- oder Zwangssituation. Gegen das Erfordernis einer Druck- oder Zwangssituation spreche bereits der Wortlaut des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG. Es erscheint ungerechtfertigt, freiwillige Einnahmeverluste gegenüber unfreiwilligen steuerlich zu bevorzugen. Damit genügt zukünftig ein freiwilliger Verzicht vollständig für die Steuerbarkeit.

Zurückverweisung an das FG

Das FG muss nun klären, ob Werbungskosten (§ 9 EStG) im Zusammenhang mit der Entschädigung oder ob außerordentliche Einkünfte (§ 34 EStG) vorliegen, was wichtig für eine denkbare Tarifermäßigung ist.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung schafft eine klare Linie: Wird ein Nießbrauchsrecht tatsächlich genutzt, um Einkünfte aus Vermietung zu erzielen, ist das Verzichtsentgelt stets steuerbar.

Dies wirkt sich auf zahlreiche Gestaltungen aus:

  • Übertragungen von Familienimmobilien,
  • Ablösung von Elternnießbrauchsrechten,
  • Entflechtung von Familiengesellschaften,
  • strukturiertes Ausscheiden aus gewerblichen Strukturen.

Die steuerliche Behandlung muss vorausschauend geplant werden. Ablösungsentgelte sind Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung – und nicht wie bisher angenommen eine steuerneutrale Vermögensumschichtung.

Bedeutung des Zeitpunkts des Verzichts

Steuerbar ist der Verzicht nur dann, wenn der Nießbraucher zum Zeitpunkt des Verzichts tatsächlich vermietet.

Das eröffnet Planungsräume:

  • Ein zuvor ruhender Nießbrauch (ohne Vermietung) könnte anders behandelt werden.
  • Verzicht während laufender Vermietung führt dagegen zwingend zur Steuerpflicht.

Auswirkungen auf Tarifermäßigung (§ 34 EStG)

Da die Entschädigung in aller Regel zusammengeballt zufließt, ist häufig zu prüfen:

  • Liegt ein atypischer, einmaliger Vorgang vor?
  • Besteht Anspruch auf Tarifermäßigung?

Fazit

Der BFH hat die steuerliche Behandlung des entgeltlichen Verzichts auf ein Nießbrauchsrecht an einer vermieteten Immobilie grundlegend neu geordnet. Entscheidend ist die tatsächliche Nutzung: Wird der Nießbrauch zur Vermietung eingesetzt, ist das Verzichtsentgelt eine steuerbare Entschädigung für entgehende Mieteinnahmen. Frühere Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung sind überholt. Das gilt ebenso für § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG: Eine Zwangssituation ist entgegen der früheren Rechtsprechung nicht mehr erforderlich.


Autor: RA & StB Andreas Jahn

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2022/2023)

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2017-2021)

Autor

Bild von  Andreas Jahn
Partner
Andreas Jahn
  • Rechtsanwalt und Steuerberater
  • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Ihr Ansprechpartner für
  • Steuerrechtliche und gesellschaftsrechtliche Begleitung von Unternehmenstransaktionen, Umwandlungen, Umstrukturierungen
  • Erbschaftsteuer und Erbschaftsteuerplanung
  • Steuerrecht der Non-profit-Organisationen, Vereine, Verbände, Stiftungen
  • Familienunternehmen und Familienstiftungen
  • Steuerstrafrecht, Selbstanzeigeberatung

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sprechblasen

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sind Sie unsicher, ob Sie mit Ihrer Angelegenheit bei uns richtig sind?
Nehmen Sie gerne unverbindlich Kontakt mit uns auf und schildern uns Ihr Anliegen.
Wir freuen uns auf Ihren Anruf.

Kontakt aufnehmen