Nachgeholte Erklärung zur optionalen Vollverschonung im Änderungsbescheid: BFH ermöglicht steuerliche Entlastung trotz Bestandskraft

In seinem Urteil vom 11.12.2024 (Az. II R 44/21) bestätigt der Bundesfinanzhof (BFH) die Möglichkeit einer steuerlichen Entlastung durch die nachgeholte Erklärung zur optionalen Vollverschonung im Änderungsbescheid!
1. Sachverhalt
Am 21.03.2013 übertrug der Vater des Klägers im Wege einer Schenkung mehrere Kommanditanteile an verschiedenen GmbH & Co. KGs. Die Übertragung erfolgte mit wirtschaftlicher Wirkung zum 31.12.2012. Mit Bescheid vom 20.04.2016 setzte das zuständige Finanzamt Schenkungsteuer fest und berücksichtigte dabei lediglich die Regelverschonung (85 % Verschonungsabschlag) gemäß §§ 13a, 13b ErbStG. Einen Einspruch gegen diesen Erstbescheid legte der Kläger nicht ein.
Am 21.12.2018 erfolgten erstmals gesonderte und einheitliche Feststellungen der übertragenen Vermögenswerte (§ 151 BewG), woraufhin das Finanzamt am 13.11.2019 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO einen geänderten Schenkungsteuerbescheid erließ. Dieser erhöhte die Steuer unter erneuter Anwendung der Regelverschonung.
Erst im Einspruchsverfahren gegen diesen Änderungsbescheid erklärte der Kläger erstmals die optionale Vollverschonung (§ 13a Abs. 8 ErbStG). Das Finanzamt wies den Einspruch zurück mit der Begründung, die steuerlichen Folgen der Vollverschonung gingen über den durch die Bescheidänderung gesetzten Änderungsrahmen hinaus (§ 351 Abs. 1 AO).
Das Finanzgericht Münster hingegen gewährte dem Kläger die Vollverschonung insoweit, wie der Änderungsbescheid vom 13.11.2019 zu einer Erhöhung der Steuer geführt hatte, und setzte die Steuer in Höhe des ursprünglichen Bescheids wieder herab.
2. Entscheidungsgründe des BFH
Der BFH (Urteil vom 11.12.2024, II R 44/21) bestätigt die Entscheidung des FG Münster. Die Revision des Finanzamts bleibt ohne Erfolg.
a. Grundsatz: Optionserklärung zur Vollverschonung ist unbefristet möglich
Die Erklärung zur Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG stellt ein Antragsrecht ohne gesetzliche Fristbindung dar. Sie kann auch noch nach Bestandskraft des ursprünglichen Steuerbescheids berücksichtigt werden – allerdings nur innerhalb des Änderungsrahmens eines späteren Änderungsbescheids.
b. Keine vollständige Versagung bei Überschreitung des Änderungsrahmens
Das Finanzamt argumentierte, die vollständige Anwendung der Vollverschonung verstoße gegen § 351 Abs. 1 AO, weil dadurch eine Steuerreduktion über den Änderungsrahmen hinaus (bis auf 0 €) möglich sei. Der BFH widerspricht:
„Die Bindungswirkung nach § 351 Abs. 1 AO hat nicht zur Folge, dass die Verschonung, wenn sie den Änderungsrahmen verlässt, insgesamt zu versagen ist.“
Damit gilt kein „Alles-oder-nichts-Prinzip“. Die Optionserklärung wird lediglich im Umfang der Änderung berücksichtigt, ohne dass die vollständige Anwendung des Wahlrechts dadurch ausgeschlossen wäre.
c. Kein materieller Fehler notwendig
Ein weiterer Einwand des Finanzamts lautete, dass keine materielle Unrichtigkeit im ursprünglichen Bescheid vorgelegen habe, die durch das Wahlrecht korrigiert werden müsse. Auch diesen Einwand lässt der BFH nicht gelten:
„Ein materieller Fehler liegt auch dann vor, wenn erst die nachträgliche, aber gleichwohl zulässige Antragstellung oder Ausübung eines Wahlrechts zu einer materiell unrichtigen Besteuerung führt.“
Die Ausübung des Wahlrechts führt damit selbst zur materiellen Unrichtigkeit und rechtfertigt die Korrektur.
3. Einordnung und Auswirkungen für die Praxis
Die nachträgliche Geltendmachung der Vollverschonung im Änderungsverfahren ist möglich – wenn auch begrenzt auf den Änderungsrahmen.
Nur soweit die Steuerfestsetzung durch einen Änderungsbescheid erhöht wurde, kann auch rückwirkend die Vollverschonung geltend gemacht werden. Steuerberater sollten daher Änderungsbescheide und Feststellungen sorgfältig prüfen und – in geeigneten Fällen – innerhalb dieses Rahmens eine entsprechende Option ausüben. Denn anders als bislang von einigen Finanzämtern vertreten, führt die verspätete Erklärung nicht zum völligen Ausschluss der steuerlichen Begünstigung.
Vorzugswürdig ist es dennoch, die ursprünglichen Schenkungsbescheide insgesamt offenzuhalten, bis die Feststellungsbescheide über die Bewertung der geschenkten Anteile verbindlich erfolgt ist. Nur so kann tatsächlich die vollständige Steuerbefreiung erreicht werden.
4. Fazit
Das Urteil des BFH vom 11.12.2024 (Az. II R 44/21) bestätigt, dass:
- die Erklärung zur optionalen Vollverschonung auch nachträglich abgegeben werden kann,
- sie im Änderungsverfahren insoweit wirksam ist, wie der Änderungsrahmen reicht (§ 351 AO),
- eine vollständige Ablehnung bei teilweiser Unzulässigkeit unzulässig ist,
- und § 351 AO keine qualitative Ausschlusswirkung entfaltet
Autor: RA & StB Andreas Jahn
Auszeichnungen
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„Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuerrecht.“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2017-2023)
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