
Ein klassischer Befristungsgrund liegt nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG in dem nur vorübergehenden betrieblichen Bedarf an der Arbeitsleistung. In der Praxis entsteht aber immer wieder Streit über die Frage, ob Arbeitnehmer tatsächlich nur zur Deckung eines vorübergehenden Arbeitsbedarfes eingesetzt werden oder nicht doch für Daueraufgaben. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat die bestehende Rechtsprechung hierzu weiter präzisiert (LAG Niedersachsen v. 10.12.2024, 10 SLa 230/24). Wir möchten die wichtige Entscheidung hier für die Praxis vorstellen.
Der Fall:
Der klagende Arbeitnehmer ist befristet zur Nachholung während der COVID-19-Pandemie ausgefallener Lehrveranstaltungen beschäftigt worden. Nach Ende der Befristung beruft sich der Arbeitnehmer auf die Unwirksamkeit der Befristung mit der Argumentation, er sei zwar für die ausgefallenen Lehrveranstaltungen eingestellt worden, tatsächlich aber nicht mit der Nachholung der ausgefallenen Lehrveranstaltungen betraut worden.
Der Arbeitgeber hat dazu vorgetragen, durch den pandemiebedingten Ausfall müssten nun nach Ende der Pandemie 74 Semesterwochenstunden nachgeholt werden. Dabei seien die ausgefallenen sportpraktischen Veranstaltungen vom Stammpersonal nachgeholt worden. Der Kläger sei zwar hierfür ursprünglich eingestellt worden, im Wege der Aufgabenumverteilung seien aber seine ursprünglichen Aufgaben in einer Vertretungskette weitergeführt worden. Es sei offenkundig, so die Beklagte, dass ein Lehrpensum von zusätzlichen 74-Semester-Wochenstunden nicht vom Stammpersonal zu kompensieren sei.
Das Arbeitsgericht hat der Befristungsklage stattgegeben.
Die Entscheidung:
Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts vollumfänglich bestätigt.
I. Befristungsgrund vorübergehender Arbeitskräftebedarf
Der Befristungsgrund des vorübergehenden Arbeitskräftebedarfs gem. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG erfordert zwar nicht, dass der befristet beschäftigte Arbeitnehmer in dem Bereich eingesetzt wird, in dem der Mehrbedarf entstanden ist. Es genügt vielmehr, wenn zwischen dem zeitweilig erhöhten Arbeitsanfall und der befristeten Einstellung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Der Arbeitgeber ist nicht gehindert, die vorhandene Arbeitsmenge zu verteilen, seine Arbeitsorganisation zu ändern oder die zusätzlichen Arbeiten anderen Arbeitnehmern zuzuweisen.
II. Prognostizierten Mehrbedarf beachten!
Der Arbeitgeber darf aber einen zeitweiligen Mehrbedarf an Arbeitskräften nicht zum Anlass nehmen, beliebig viele Arbeitnehmer einzustellen. Vielmehr muss sich die Zahl der befristet eingestellten Arbeitnehmer im Rahmen des prognostizierten Mehrbedarfs halten und darf diesen nicht überschreiten.
Hinweis für die Praxis:
Für das Vorliegen des Kausalzusammenhangs zwischen prognostiziertem Mehrbedarf und Befristung trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und ggf. die Beweislast.
III. Pauschaler Vortrag nicht ausreichend!
Der Arbeitgeber hatte hier vorgetragen, das durch pandemiebedingte Ausfälle entstandene Lehrdefizit von 74 Semesterwochenstunden könne nicht durch das Stammpersonal kompensiert werden, was „offenkundig“ sei. Der Kläger sei deshalb im Rahmen einer „Vertretungskette“ tätig gewesen. Dies begründe bereits die erforderliche Kausalität.
Dieser Vortrag hat für das LAG bei weitem nicht ausgereicht. Der Arbeitgeber hätte die streitige Kausalität deutlich konkreter begründen müssen. Hierzu wäre es erforderlich gewesen, vorzutragen, welche vom Kläger im Befristungszeitraum verrichteten Daueraufgaben aufgrund welcher Organisationsentscheidung in welchem zeitlichen Umfang von welchen anderen Beschäftigten wann und wie abgearbeitet werden sollten. Das galt hier umso mehr, als der Kläger die von dem Arbeitgeber genannten 74 zusätzlichen Semesterwochenstunden allein nicht hätte kompensieren können. Den Urteilsgründen lässt sich entnehmen, dass offenbar im Termin diese Frage erörtert wurde und der Arbeitgeber dort vortragen hat, die konkrete Planung hinsichtlich der Wahrnehmung nachzuholender Lehrveranstaltungen und der darauf beruhenden Aufgabenumverteilung lasse sich nicht mehr nachvollziehen. Dieses Defizit und die damit verbundenen rechtlichen Nachteile trägt dann aber allein der Arbeitgeber.
Fazit:
Die Rechtsprechung ist im Grundsatz äußerst großzügig, wenn der vorübergehende Arbeitskräftebedarf zur Prüfung eines Befristungsgrundes nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG geprüft wird. Der Arbeitgeber muss den befristet beschäftigten Arbeitnehmer nicht zwingend in dem Bereich eingesetzen, in dem der Mehrbedarf entstanden ist. Es genügt auch, wenn zwischen dem zeitweilig erhöhten Arbeitsanfall und der befristeten Einstellung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Arbeitgeber sind daher nicht gehindert, die vorhandene Arbeitsmenge zu verteilen oder die Arbeitsorganisation zu ändern. Zusätzliche Arbeiten können daher auch anderen Arbeitnehmern zugewiesen werden. Aber: Die Zahl der befristet eingestellten Arbeitnehmer muss sich im Rahmen des prognostizierten Mehrbedarfs halten und darf diesen nicht übersteigen. Diese Prognose muss der Arbeitgeber im Prozess beweisen. Gelingt ihm dies nicht, wird der Befristungsgrund nicht anerkannt.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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