11.06.2025 -
Darf ein Betriebsrat eine Versetzung ablehnen, wenn die Schwerbehindertenvertretung nicht beteiligt wurde?
Nun ist der Rechtsstreit beim Bundesarbeitsgericht anhängig: Darf der Betriebsrat seine Zustimmung zu einer Versetzung verweigern, wenn Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung verletzt werden? (credits: adobestock)

Dem Betriebsrat stehen bei Versetzungen die in § 99 Abs. 2 BetrVG aufgelisteten Zustimmungsverweigerungsrechte zu. Dort ist insbesondere geregelt, dass bei Verstößen gegen „ein Gesetz“ ein Zustimmungsverweigerungsgrund vorliegt, § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte nun die spannende Frage zu klären, ob der Betriebsrat seine Zustimmung verweigern darf, wenn Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung nach §§ 164 Abs. 1 S. 4, 178 Abs. 2 SBG IX verletzt werden (LAG Düsseldorf v. 14.5.2024, 3 TaBV 37/23). Die Entscheidung ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten und soll daher hier besprochen werden.

Der Fall (verkürzt):

Der antragstellende Arbeitgeber ist ein Unternehmer im Bereich der Automobilzulieferindustrie und beschäftigt mehr als 900 Mitarbeiter. Der bei ihm gebildete Betriebsrat besteht aus 15 Mitgliedern.

Im Jahre 2022 wurden zwei Stellen als „Betriebssanitäter“ innerbetrieblich ausgeschrieben. Die Schwerbehindertenvertretung wurde in diesem Zuge über eine Bewerbung eines einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Mitarbeiters am 16.8.2022 informiert.

Im Rahmen des Stellenausschreibungsverfahrens entschied sich der Arbeitgeber für zwei andere Bewerber.

Der Betriebsrat hat den Einstellungen unter anderem mit der Begründung widersprochen, beworben habe sich auch der gleichgestellte Kollege. Es sei seitens des Arbeitgebers versäumt worden, die Schwerbehindertenvertretung bei der Auswahl der Stellenbewerber hinzuzuziehen. Dies allein begründe einen Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG wegen Verstoß gegen ein Gesetz, nämlich das SGB IX.

Der Arbeitgeber hat die Zustimmungsersetzung beim zuständigen Arbeitsgericht beantragt. Weiter hat er die Maßnahme vorläufig durchgeführt und ebenfalls beantragt, festzustellen, dass die vorläufige Umsetzung dringend erforderlich war.

Das Arbeitsgericht hat einen Verstoß gegen die Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung nach §§ 16, 178 SGB IX bejaht und den Zustimmungsverweigerungsgrund des Betriebsrats bestätigt.

Die Entscheidung:

Im Beschwerdeverfahren hat das LAG die Entscheidung des Arbeitsgerichts aufgehoben und die Zustimmungsersetzungsanträge des Arbeitgebers als begründet angesehen.

I. Beteiligungspflichten gegenüber der Schwerbehindertenvertretung

Zunächst hat das Landesarbeitsgericht allerdings den Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Beteiligungspflichten gegenüber der Schwerbehindertenvertretung bejaht. So ist die Unterrichtung über die Bewerbung des einem Schwerbehinderten gleichgestellten Mitarbeiters nicht unverzüglich im Sinne von § 164 Abs. 1 S. 4 SGB IX erfolgt. Noch hat eine umfassende Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung im Sinne von § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX vor Entscheidung über die Stellenbesetzung trotz Vorliegens einer Bewerbung eines einem Schwerbehinderten Gleichgestellten stattgefunden und auch das Recht auf Teilnahme an den Vorstellungsgesprächen nach § 178 Abs. 2 S. 4. SGB IX wurde mangels Mitteilung vereitelt.

Hinweis für die Praxis:

Wir möchten hier im Einzelnen die umfangreichen Ausführungen zu den Vorschriften des SGB IX nicht wiederholen und verweisen insoweit auf die Lektüre der Entscheidung. Wichtig ist hier nur der Hinweis, dass dem Arbeitgeber im Stellenbesetzungsverfahren zahlreiche Pflichten nach dem SGB IX treffen, die zwingend zu beachten sind.

II. Auswirkungen der fehlenden Beteiligung auf das Beteiligungsverfahren nach dem BetrVG?

Das Landesarbeitsgericht hat allerdings die Verstöße im Stellenbesetzungsverfahren gegen gesetzliche Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung aus §§ 164 Abs. 1 S. 4, 178 Abs. 2 SGB IX im Beteiligungsverfahren nach dem BetrVG nicht für relevant angesehen. Der Betriebsrat kann bei einer personellen Einzelmaßnahme, insbesondere einer Versetzung, seine Zustimmung nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG verweigern, wenn die personelle Maßnahme, also die Versetzung gegen ein Gesetz verstoßen würde.

Ein solcher Verstoß war hier aus den genannten Gründen wegen mehrerer Verstöße im Stellenbesetzungsverfahren gegen gesetzliche Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung gegeben. Der Schwerbehindertenvertretung steht aber nach Ansicht des LAG ein eigenes Recht zu, gegen diese Verstöße vorzugehen. Es handelt sich daher um abschließende Sonderregelungen im SGB IX, die dem Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats aus § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG vorgehen. Das LAG schließt parallele Sicherungsrechte sowohl der Schwerbehindertenvertretung als auch des Betriebsrates hier aus. Würde man dies anders sehen, könnte der Betriebsrat die Zustimmung mit der Begründung der Verletzung gesetzlicher Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung verweigern, obwohl diese selbst eine Aussetzung gar nicht verlangt hat. Das Landesarbeitsgericht lehnt daher eine Einmischung des Betriebsrats in die Organrechte der Schwerbehindertenvertretung ab.

Hinweis für die Praxis:

Stützt sich der Betriebsrat allein auf die Verletzung von Rechten der Schwerbehindertenvertretung kann also ein Zustimmungsverweigerungsgrund hier nicht durchgreifen. Etwas anderes würde dann gelten, wenn der Betriebsrat eigene Rechte aus der Verletzung der Vorschriften ableiten könnte. Das wäre z.B. der Fall, wenn er sich auf einen Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG beruft, weil z.B. der schwerbehinderte Bewerber durch die Ablehnung benachteiligt worden wäre. Hierauf hatte sich der Betriebsrat vorliegend aber nicht berufen, so dass diese Frage nicht geklärt werden müsste.

Fazit:

Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind plausibel und nachvollziehbar. Der Schwerbehindertenvertretung stehen eigene Rechte zu, daher darf sich der Betriebsrat im Rahmen des § 99 Abs. 2 BetrVG auf diese Rechte nicht berufen. Allerdings ist die Frage in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Das LAG hat daher die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Das Verfahren ist dort unter dem Aktenzeichen 1 ABR 29/24 anhängig. Wir werden über die weitere Entwicklung der Rechtsprechung berichten.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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