
Das Finanzgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 05.09.2025 (10 K 2606/20 E) eine praxisrelevante Entscheidung zu verdeckten Gewinnausschüttungen (vGA) im Zusammenhang mit einer spanischen Kapitalgesellschaft (S.L.) getroffen. Im Fokus stand die unentgeltliche Nutzung einer spanischen Ferienimmobilie durch die Gesellschafter. Das Urteil beleuchtet nicht nur die steuerliche Behandlung solcher Gestaltungen, sondern auch die Abgrenzung zwischen tariflicher und abgeltungsteuerlicher Besteuerung. Für Steuerberater, Steueranwälte und Eigentümer spanischer Immobilien ist die Entscheidung ein wichtiger Wegweiser für die steuerliche Einordnung und mögliche Risiken bei Auslandsgesellschaften.
1. Sachverhalt
Die Kläger – ein Ehepaar – wurden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Der Ehemann hatte 2002 gemeinsam mit seiner Familie eine spanische S.L. („X.“) gegründet. Das Stammkapital von 3.006 € wurde zwischen Eltern (je 30 %) und Kindern (je 20 %) aufgeteilt. Noch am Gründungstag erwarb die S.L. ein Ferienhaus in Spanien zum Preis von 620.000 €. Die Finanzierung erfolgte vollständig über unverzinsliche Gesellschafterdarlehen der Eltern. Die Immobilie wurde ausschließlich privat genutzt; eine Vermietung an Dritte erfolgte nie.
In den Jahren 2009 bis 2016 erklärte die S.L. in Spanien lediglich Aufwendungen, aber keine Einnahmen. Die spanische Finanzverwaltung sah hierin keine steuerlichen Konsequenzen. Auch in Deutschland wurde der Sachverhalt zunächst nicht erklärt. Erst 2017 informierte der Kläger das Finanzamt und erläuterte, dass die Gesellschaft „nur formal Eigentümerin“ der Immobilie sei und wirtschaftlich keine Tätigkeit ausübe.
Das Finanzamt sah darin eine verdeckte Gewinnausschüttung, weil die Gesellschaft ihren Gesellschaftern die Immobilie unentgeltlich überließ. Es setzte jährlich Kostenmieten an, die auf Basis der Aufwendungen, fiktiver Kapitalverzinsung (4,5 %) und Gewinnzuschlag (5 %) berechnet wurden. Diese vGA wurden anteilig dem Kläger zugerechnet und tariflich versteuert.
Die Kläger wandten sich dagegen und argumentierten, dass
- keine vGA vorliege, weil die Gesellschaft treuhänderisch gehandelt habe,
- eine Einkünfteerzielungsabsicht fehle,
- und die Anwendung des Abgeltungsteuersatzes (§ 32d Abs. 1 EStG) geboten sei, da keine Einkommensminderung der S.L. erfolgt sei.
2. Entscheidungsgründe des Finanzgerichts
a. Verdeckte Gewinnausschüttung bei unentgeltlicher Nutzungsüberlassung
Das Finanzgericht stellte klar, dass die Nutzung der Immobilie eine vGA darstellt, die bei den Gesellschaftern zu Kapitaleinkünften i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG führt. Entscheidend sei die unentgeltliche oder verbilligte Überlassung eines Wirtschaftsguts durch eine Kapitalgesellschaft an ihre Gesellschafter:
Der Vorteil des Gesellschafters liegt bereits in der Möglichkeit der privaten Nutzung. Eine tatsächliche Nutzung sei nicht erforderlich; die jederzeitige Nutzbarkeit genüge. Da die Immobilie ganzjährig unentgeltlich bereitstand und ausschließlich privat genutzt wurde, lag eine verhinderte Vermögensmehrung der Gesellschaft vor. Das Gericht folgte damit der ständigen Rechtsprechung des BFH (u.a. Urteile vom 12.06.2013 – I R 109–111/10 und vom 01.10.2024 – VIII R 4/21).
b. Kein wirtschaftliches Eigentum der Gesellschafter
Das Argument der Kläger, die S.L. sei nur „Treuhänderin“ gewesen, wies das Gericht zurück. Ein Treuhandvertrag war weder vorgetragen noch belegt. Die bloße Beherrschung durch die Gesellschafterfamilie begründe kein wirtschaftliches Eigentum nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO.
c. Einkünfteerzielungsabsicht unbeachtlich
Auch das Fehlen einer Einkünfteerzielungsabsicht ändere nichts. Nach deutschem Recht sei es irrelevant, ob die ausländische Gesellschaft über eine außerbetriebliche Sphäre verfüge. Entscheidend sei, dass der Verzicht auf Entgelte gesellschaftlich veranlasst und damit steuerlich relevant sei.
d. Besteuerungsrecht Deutschlands
Deutschland sei gemäß dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Spanien (DBA-Spanien 1966 und 2011) zum Besteuern berechtigt. Sowohl Dividenden (Art. 10 DBA) als auch sonstige Einkünfte (Art. 20 DBA) dürfen in Deutschland besteuert werden. Eine Anrechnung spanischer Steuern kam nicht in Betracht, da keine entsprechenden Steuern erhoben worden waren.
e. Festsetzungsverjährung für 2009–2011
Für die Jahre 2009 bis 2011 verwarf das Gericht die Steuerfestsetzungen wegen Festsetzungsverjährung (§ 169 AO).
Zwar lag objektiv eine Steuerverkürzung vor, doch nach Auffassung des FG kein Vorsatz im Sinne des § 370 AO. Der Kläger sei steuerlicher Laie und habe sich rechtlich vertan. Das komplexe Institut der vGA sei selbst Fachleuten schwer zugänglich. Daher verlängerte sich die Festsetzungsfrist nicht auf zehn Jahre; die Bescheide waren somit rechtswidrig.
f. Teilweise Korrektur der Jahre 2012–2016
Für 2012–2016 bestätigte das Gericht grundsätzlich die Annahme einer vGA, korrigierte aber die Höhe:
„Die Kapitalverzinsung ist nur für Eigenkapital anzusetzen; unverzinsliche Gesellschafterdarlehen sind Fremdkapital mit 0 % Kosten.“
Daraus ergab sich eine stark reduzierte Kostenmiete (z. B. nur 14.553 € für 2012). Die vGA des Klägers beliefen sich demnach auf
In 2012 | 2.911 € | (20 % von 14.553 €) |
In 2013-2015 | 2.397 € | (20 % von 11.985 €) |
In 2016 | 679 € | (5,67 % von 11.985 €) |
Zudem gewährte das Gericht nachträglich den Sparer-Pauschbetrag (§ 20 Abs. 9 EStG) für 2014.
g. Keine Anwendung der Abgeltungsteuer
Entscheidend für die Praxis ist der Teil, in dem das FG die Anwendung der Abgeltungsteuer (§ 32d Abs. 1 EStG) ablehnt.
Nach § 32d Abs. 2 Nr. 4 EStG gilt der Abgeltungsteuersatz nicht für solche Bezüge, „soweit sie das Einkommen der leistenden Körperschaft gemindert haben“. Das Gericht stellte klar: Dieses sogenannte materielle Korrespondenzprinzip gilt auch für ausländische Gesellschaften und auch bei verhinderten Vermögensmehrungen. Für eine Differenzierung zwischen Vermögensminderung und verhinderter Vermögensmehrung bestehe kein Raum.
Der Gesetzgeber habe mit § 32d Abs. 2 Nr. 4 EStG bewusst den Gleichklang mit § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG geschaffen, wonach vGA das Einkommen der Gesellschaft nicht mindern dürfen. Ziel der Vorschrift ist es, eine doppelte steuerliche Begünstigung zu vermeiden, indem vGA nicht dem Abgeltungsteuersatz unterliegen, wenn sie auf Ebene der Körperschaft nicht besteuert wurden. Eine Begünstigung durch die Abgeltungsteuer würde sonst zu einer doppelten steuerlichen Entlastung führen.
h. Zulassung der Revision
Die Revision wurde zugelassen, da die Frage, ob § 32d Abs. 2 Nr. 4 EStG auch bei verhinderten Vermögensmehrungen gilt, höchstrichterlich bislang nicht entschieden ist.
3. Einordnung und praktische Bedeutung
a. Für Steuerberater und Steueranwälte
- Das Urteil verdeutlicht, dass Gestaltungen mit ausländischen Kapitalgesellschaften, die Ferienimmobilien halten, steuerliche Risiken bergen. Bereits die bloße unentgeltliche Nutzungsmöglichkeit kann eine vGA begründen – unabhängig von tatsächlicher Nutzung oder Einkünfteerzielungsabsicht.
- Wichtig sind die gerichtlichen Klarstellungen zur Berechnung der Kostenmiete, indem sie eine zu weite Anwendung fiktiver Kapitalverzinsung ablehnt.
- Die Begründung des FG für das Fehlen des Vorsatzes ist bemerkenswert. Die durch das FG angeführte Argumentation sollte in Abwehrfällen und bei der Verteidigung in Steuerstrafverfahren nutzbar gemacht werden, insbesondere wenn vGA der Anlass sind. Das FG führt wie folgt aus:
„Um bei einer solchen Ausgangslage überhaupt auch nur die Vorstellung entwickeln zu können, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 1 Satz 2 EStG vorliegen könnten, müsste der Steuerpflichtige zunächst einmal mit dem Rechtsinstitut der vGA vertraut sein. Bereits dies lässt sich im Streitfall nicht feststellen. Die Kläger sind nach Aktenlage steuerliche Laien und das steuerliche Konstrukt „vGA“ gehört nicht zum Allgemeinwissen. Vielmehr sind die Tatbestandsvoraussetzungen, unter denen eine vGA vorliegt, nicht einmal gesetzlich geregelt, sondern wurden ausschließlich durch die Rechtsprechung entwickelt. Es handelt sich um eine äußerst komplexe Rechtsmaterie, die selbst für Experten nicht einfach zu durchschauen ist.
Selbst wenn die Kläger mit dem Rechtsinstitut einer vGA grundsätzlich vertraut gewesen wären, müssten sie – um eine Steuerhinterziehung bejahen zu können – zudem erkannt haben, dass der hier verwirklichte Sachverhalt in den Anwendungsbereich einer vGA fällt. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass – wie bereits dargestellt – weder die X. noch der Kläger die Absicht hatten, Einkünfte zu erzielen, drängt sich die Erkenntnis, dass eine vGA vorliegen könnte, keinesfalls auf. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger dies dennoch erkannt und bewusst ignoriert haben, fehlen völlig.“.
b. Für Eigentümer spanischer Immobilien
Wer eine spanische S.L. (Sociedad Limitada) zur Verwaltung einer Ferienimmobilie nutzt, sollte bedenken:
- Jede private Nutzung kann als vGA gewertet werden.
- Eine marktgerechte Miete sollte nachweisbar gezahlt werden.
- Unverzinsliche Gesellschafterdarlehen dürfen nicht pauschal verzinst werden.
- Der Abgeltungsteuersatz ist in der Regel nicht anwendbar – es gilt die tarifliche Einkommensteuer.
Fazit für die Praxis:
Wer eine ausländische Kapitalgesellschaft zur Immobilienverwaltung nutzt, sollte Verträge, Nutzungsregelungen und Finanzierungsstrukturen sorgfältig dokumentieren, um spätere vGA-Risiken zu vermeiden.
Autor: RA & StB Andreas Jahn
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