Der elfte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat in einem Beschluss vom 11. Februar 2003 (XI ZR 113/02), seine neuere Rechtsprechung zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit einer (Ehegatten-) Bürgschaft wegen „krasser finanzieller Überforderung“ bestätigt. Wer eine derartige Bürgschaft abgegeben hat, bekommt jetzt durch den BGH einen recht gesicherten Leitfaden in die Hand, um die Sittenwidrigkeit des Bürgschaftsversprechens anhand weniger Kriterien abzuprüfen. Die Entscheidung reiht sich nahtlos ein in die Urteile des selben Senats vom 14. Mai 2002 (Az. XI ZR 81/01) und 28. Mai 2002 (XI ZR 199/01), so dass heute von einer gesicherten Rechtssprechung ausgegangen werden kann.

·         Danach ist bei der Beurteilung der krassen finanziellen Überforderung von Bürgen und Mithaftenden zunächst einmal ein schuldrechtlicher Befreiungsanspruch des in Anspruch genommenen Bürgen gegen den Hauptschuldner, also ein Rückgriffsanspruch gegen denjenigen, für dessen Schuld die Bürgschaft übernommen wurde, außer Betracht zu lassen.

·         Sodann ist das pfändbare Vermögen in der Weise zu berücksichtigen, dass der um valutierende dingliche Belastungen verminderte Wert des Vermögens, also das durch tatsächlich bestehende Schulden verringerte Vermögen, von der Bürgschaftsschuld oder mitübernommenen Schuld abgezogen wird (bspw. Grundstückswert abzüglich der durch Grundschulden abgesicherten und noch offenen Schulden).

·         Wenn der zu ermittelnde pfändbare Teil des Einkommens des Bürgen oder Mithaftenden die auf den so ermittelten Schuldbetrag entfallenden laufenden Zinsen voraussichtlich nicht abdeckt, liegt eine krasse finanzielle Überforderung vor.

 

Wegen der besonderen Bedeutung der Entscheidungen des XI. Senats für die betroffenen Bürgen (meist Ehegatten oder sonstige nahe Angehörige) haben wir die beiden vorangegangenen Urteile des Senats aus dem Mai 2002 (XI ZR 81/01 und XI ZR 199/01) nachfolgend ebenfalls dargestellt – und für diejenigen, die sich auch für die dahinter stehenden rechtlichen Erwägungen interessieren, die Rechtslage etwas detaillierter aufgearbeitet.

Den beiden Urteilen lagen folgende Sachverhalte zugrunde:

Sachverhalt 1(XI ZR 81/01):
Im ersten Fall verbürgte sich eine Architektin – eine Mutter von zwei Kindern und Geschäftsführerin der GmbH mit einem monatlichen Bruttogehalt von 6.500 Mark (ca. 3.323 Euro) – für die Schulden der Firma (GmbH & Co. KG) ihres Mannes bis zu einem Höchstbetrag von 9,86 Millionen Mark (ca. 5 Millionen Euro) gegenüber der klagenden Sparkasse. Nach Auffassung des XI. Zivilsenat des BGH verstößt die übernommene Höchstbetragsbürgschaft in besonders auffälliger Weise gegen die guten Sitten und ist infolgedessen nichtig.

Sachverhalt 2 (XI ZR 199/01):
Im zweiten Fall hatte die Beklagte, eine 30 Jahre alte Diplomjuristin, im Januar 1997 eine Höchstbetragsbürgschaft über 1.000.000 DM (511.292 Euro) für die KG übernommen, deren Komplementärin die Mutter der Beklagten war. Die Beklagte war an der KG als Kommanditistin mit einer Einlage von 810.000 DM (414.146,52 Euro) beteiligt. Sie hatte ein bei Abschluss pfändbares Vermögen von 98.500 DM (50.362,26 Euro) und monatliche, pfändbare Einkünfte in Höhe von 3.337,03 DM (1.706,20 Euro). Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG kündigte die Bank den Kredit und nimmt die Beklagte nun aus der Bürgschaft in Anspruch. Der BGH hat auch hier entschieden, dass die Beklagte im konkreten Fall finanziell krass überfordert war.

 

I. Hintergrund der Rechtsprechungsentwicklung

Bereits das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass am Zivilrechtsverkehr gleichrangige Grundrechtsträger teilnehmen, die unterschiedliche Interessen und vielfach gegenläufige Ziele verfolgen. Da sämtliche Vertragsparteien den Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG genießen und sich gleichermaßen auf die grundrechtliche Gewährleistung ihrer Privatautonomie berufen können, muss die Zivilrechtsordnung bei einer schweren Störung des Verhandlungsgleichgewichts korrigierend eingreifen (so BVerfGE 89, 214, 232).  Das folgt aus der grundrechtlichen Gewährleistung der Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG), deren Ausprägung in der Zivilrechtsordnung u. a. die Generalklauseln §§ 138, 242 BGB darstellen. Bei Bürgschaftsverträgen ist die Vertragsparität häufig gestört. Ein Bürge haftet auf lange Zeit mit seinem gesamten Vermögen für eine oft sehr hohe Forderung, so dass er außer seinem unpfändbaren Einkommen kein Vermögen mehr besitzen darf und faktisch handlungsunfähig ist. In Extremfällen muss eine Überforderung einer Person zur Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit der Bürgschaft führen.

Immer wieder haben Fälle den Bundesgerichtshof beschäftigt, in denen die Ehegattin des Hauptschuldners, seine Lebensgefährtin oder ein naher Verwandter von ihm die Bürgschaft für seine Schulden übernommen hat und diese/r hierdurch finanziell krass überfordert wurde. Dabei gab es zwischen dem für Bürgschaftssachen zuständigen neunten Senat und dem für den Schuldbeitritt zuständigen elften Senat unterschiedliche Auffassungen, wann eine solche krasse finanzielle Überforderung und somit eine Nichtigkeit der Bürgschaft wegen Sittenwidrigkeit gem. §138 BGB vorliegen sollte. Nunmehr ist aufgrund einer Änderung des Geschäftsverteilungsplans allein der elfte Senat für diese Frage zuständig.

II. Sittenwidrigkeit gem. § 138 I BGB:

Die Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft setzt zunächst eine krasse finanzielle Überforderung des Bürgen voraus. Neben einer krassen finanziellen Überforderung müssen zudem weitere, dem Kreditgeber zurechenbare Umstände hinzutreten, durch die ein unerträgliches Ungleichgewicht zwischen dem Bürgen und dem Kreditgeber entsteht, das die Verpflichtung des Bürgen als rechtlich nicht mehr hinnehmbar erscheinen lässt.

Nach den vom BGH entwickelten Grundsätzen sind Bürgschaften u.a. dann sittenwidrig, wenn die Bürgschaft von Personen abgegeben wird,

  1. die mit der Bürgschaft „finanziell krass überfordert“ sind und
  2. die sich bei der Erteilung nicht von einer realistischen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos, sondern von einer emotionalen Bindung zum Hauptschuldner haben leiten lassen und
  3. der Schuldner dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat.

Die Sittenwidrigkeit der Bürgschaft kann sich auch daraus ergeben, dass der Bürge vom Gläubiger in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt wird (z. B. Ausnutzung von Unerfahrenheit, Verharmlosung der Bürgschaftsrisiken, Schaffung einer seelischen Zwangslage, etc.).

1. Krasse finanzielle Überforderung des Bürgen:

Eine krasse Überforderung nimmt der BGH an, wenn der Bürge mit dem pfändbaren Teil seines Einkommens und Vermögens nicht einmal die Zinslast der durch die Bürgschaft gesicherten Verbindlichkeiten bei Eintritt des Sicherungsfalls dauerhaft aufbringen kann. Nach der Rechtsprechung des BGH ist bei der Beurteilung der krassen finanziellen Überforderung von Bürgen und Mithaftenden das Vermögen in folgender Weise zu berücksichtigen:

·         Das Leistungsvermögen des Hauptschuldners ist nicht zu berücksichtigen, sondern allein das pfändbare Einkommen und Vermögen des Schuldners.

·         Pfändbares Vermögen ist von der Verbindlichkeit vor Berechnung der Zinslast abzuziehen. Dabei ist auch der Einsatz des letzten vorhandenen Vermögensguts – wie das selbst bewohnte Eigenheim –  einzubeziehen.

·         Schuldrechtliche Freistellungsansprüche des Bürgen gegen den Hauptschuldner sollen bei der Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bürgen und somit bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Bürgschaft oder Mithaftung keine Rolle spielen.

·         Die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf seinem Grundbesitz ruhenden dinglichen Belastungen sind jedoch grundsätzlich wertmindernd zu berücksichtigen.

·         Ergänzt die streitgegenständliche Bürgschaftsverpflichtung, die bei isolierter Betrachtung den Bürgen, der dem Hauptschuldner persönlich nahe steht, nicht krass überfordert, eine vorausgegangene Bürgschaft, die wegen einer krassen finanziellen Überforderung des Bürgen sittenwidrig ist, so führt auch dies zur Nichtigkeit der nachfolgenden Bürgschaft. Dasselbe gilt, wenn mehrere Bürgschaften erst in Gesamtheit die krasse finanzielle Überforderung des Bürgen herbeiführen (so OLG Köln, WM 2003, 286). 

Bei der Beurteilung der krassen finanziellen Überforderung von Bürgen und Mithaftenden ist somit das Vermögen in der Weise zu berücksichtigen, dass der um valutierende dingliche Belastungen verminderte Wert des Vermögens von der Bürgschaftsschuld abgezogen wird. Wenn der zu ermittelnde pfändbare Teil des Einkommens des Bürgen oder Mithaftenden die auf den so ermittelten Schuldbetrag entfallenden laufenden Zinsen voraussichtlich nicht abdeckt, liegt eine krasse finanzielle Überforderung vor.

2. Weitere besondere Umstände

Der BGH verlangt zur Anwendung des § 138 I BGB die krasse finanzielle Überforderung des Bürgen und zusätzlich das Vorliegen besonderer Umstände, die das Ungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien zur Folge haben.

a) Widerlegbare Vermutung bei Bürgschaften naher Angehöriger

Wenn eine emotionale Bindung zu dem Hauptschuldner, z.B. als Angehöriger, besteht, so führt die Annahme einer krassen finanziellen Überforderung des Bürgen nach der Rechtsprechung des BGH zu der (widerleglichen) Vermutung, dass sich der Ehegatte oder der nahe Angehörige bei der Übernahme der Bürgschaft nicht von seinen Interessen und von einer realistischen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos hat leiten lassen und dass das Kreditinstitut die emotionale Beziehung zwischen Hauptschuldner und Bürgen in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat. Es ist Sache des Gläubigers, diese Vermutung zu widerlegen. Der Bürge hat allein die finanzielle Überforderung darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Das Vorliegen besonderer Umstände muss nicht im Einzelnen dargetan zu werden.

b) Keine Übertragung auf Gesellschafterbürgschaften

Diese Vermutung soll nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 15. Januar 2002, Az. XI ZR 98/01) jedoch nicht gelten bei Bürgschaften von Gesellschaftern einer GmbH, welche Hauptschuldnerin ist. Denn in der Regel habe eine kreditgebende Bank ein berechtigtes Interesse an einer persönlichen Haftung der Gesellschafter und dürfe davon ausgehen, dass eine Beteiligung an der Gesellschaft und die Haftung für deren Schulden aus eigenem finanziellem Interesse erfolge und deshalb kein unzumutbares Risiko darstelle. Weder eine krasse finanzielle Überforderung eines bürgenden Gesellschafters noch seine emotionale Verbundenheit mit einem die Gesellschaft beherrschenden Dritten begründen daher dieVermutung der Sittenwidrigkeit. Ist der Bürge ein maßgeblich an der Gesellschaft  beteiligter Geschäftsführer oder Mehrheitsgesellschafter und behauptet er, die Haftung für die Gesellschaftsschulden allein aus enger persönlicher Verbundenheit zu einem Dritten und ohne eigenes wirtschaftliches Interesse übernommen zu haben, so hat er sowohl die Tatsachen als auch die Kenntnis des Gläubigers zu beweisen.

c) Widerlegbare Vermutung auch bei sog. Strohmännern

Erfüllt der GmbH-Gesellschafter bzw. ein Kommanditist indes nur eine Strohmannfunktion und wurde die Bürgschaft allein aus emotionaler Verbundenheit mit der hinter ihm stehenden Person übernommen und ist dies für das Kreditinstitut evident, greift die oben genannte widerlegbare Vermutung ein. Zu beweisen ist das Vorliegen der finanziellen Überforderung und der Kenntnis der Bank von der Strohmannfunktion.   

Hier sollen die vom BGH entwickelten Grundsätze zur Sittenwidrigkeit der Bürgschaft finanziell überforderter Angehöriger gelten und somit auch die widerlegbare Vermutung, der Gesellschafterbürge habe sich bei der Übernahme der Bürgschaft nicht von seinen Interessen und von einer rationalen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos leiten lassen und dass Kreditinstitut die emotionale Beziehung zwischen Hauptschuldner und Bürgen in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt.

Der BGH führt zum ersten Fall aus:

„Die Beklagte war nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts bei Abgabe der Bürgschaftserklärung im Juli 1995 ersichtlich nicht einmal annähernd in der Lage, die laufenden Zinsen für die verbürgte Hauptschuld über 9,86 Millionen DM aus dem pfändbaren Teil ihres Einkommens und Vermögens zu tragen. Ihr Gehalt als Geschäftsführerin der K. GmbH von monatlich 6.500 DM brutto reichte dazu bei weitem nicht aus. Eigenes verwertbares Vermögen war nur in Höhe von rund 18.000 DM vorhanden“.

„Die danach bestehende Vermutung, dass sich die Beklagte bei Übernahme der ruinösen Bürgschaft von ihrer emotionalen Bindung an ihren Ehemann, den wirtschaftlichen Alleineigentümer der Hauptschuldnerin, hat leiten lassen, hat das Berufungsgericht zu Recht nicht als entkräftet angesehen. Dass die Beklagte zunächst bei der Hauptschuldnerin angestellt, geschäftlich nicht unerfahren war und als Vertreterin ihres Ehemannes an Gesprächen zur Sanierung der Hauptschuldnerin teilgenommen hat, fällt entgegen der Ansicht der Klägerin als Beweisanzeichen nicht entscheidend ins Gewicht. Auch erfahrene und geschäftsgewandte Personen können aus emotionaler Verbundenheit zu ihrem Ehegatten Verbindlichkeiten eingehen, die sie finanziell krass überfordern.“

Der BGH hat im zweiten Urteil ausgeführt:

„Bei der Beurteilung der krassen finanziellen Überforderung von Bürgen und Mithaftenden ist pfändbares Vermögen in der Weise zu berücksichtigen, dass der ermittelte Wert von der Bürgschafts- oder mitübernommenen Schuld abgezogen wird. Nur wenn der pfändbare Teil des Einkommens des Bürgen oder Mithaftenden die auf den so ermittelten Schuldbetrag entfallenden laufenden Zinsen voraussichtlich nicht abdeckt, liegt eine krasse finanzielle Überforderung vor“.

„Selbst wenn man zugunsten der Klägerin von den bestrittenen Vermögensverhältnissen der Beklagten ausgeht, wie sie sich aus dem Sachbericht der M. Beteiligungsgesellschaft mbH und der B.bank GmbH vom 19. August 1996 ergeben, betrug das pfändbare Vermögen der Beklagten, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages nur 98.500 DM. Die Beklagte verfügte danach über ein Bankguthaben von 21.000 DM und war zu ein halb mitbeteiligt an einem Grundstück mit einem Verkehrswert von 300.000 DM, das mit valutierenden Grundpfandrechten von 145.000 DM belastet war. Diese Belastung ist der banküblichen Praxis entsprechend bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Beklagten vermögensmindernd zu berücksichtigen; denn im Falle der Veräußerung des Grundstücksanteils der Beklagten stünde nur der um die Belastung geminderte Erlös zur Erfüllung ihrer Bürgschaftsschuld zur Verfügung. Dies wären hier 77.500 DM. Diese sowie das Bankguthaben von 21.000 DM sind danach von der Bürgschaftsschuld von 1 Mio. DM abzuziehen, so dass sich bei dem vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Vertragszinssatz von 8,25% eine monatliche Zinsbelastung in Höhe von 6.197,81 DM ergibt.“

„Diese laufende Zinslast konnte die Beklagte nicht aus dem pfändbaren Teil ihres Einkommens tragen. Nach der vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Selbstauskunft vom 18. Juli 1996 verfügte die Beklagte selbst über jährliche Einnahmen von 64.000 DM. Das angegebene Jahreseinkommen ihres Ehemannes von 34.000 DM ist, da es auf die Leistungsfähigkeit nur des Bürgen persönlich ankommt, insoweit nicht unmittelbar zu berücksichtigen, sondern führt nur dazu, dass sich der pfändungsfreie Betrag nicht durch Unterhaltspflichten erhöht. Auszugehen ist somit entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht von einem Jahreseinkommen der Beklagten von 98.000 DM, sondern nur von 64.000 DM, d.h. monatlichen Einkünften von 5.333,33 DM. Der 1997 nach § 850c ZPO monatlich pfändbare Betrag beläuft sich danach auf 3.337,03 DM und bleibt damit weit hinter der monatlichen Zinsbelastung zurück.“

Der BGH führte weiterhin aus, dass die Stellung eines Kommanditisten (zumindest bei einem bedeutsamen Gesellschaftsanteil) mit der Stellung eines GmbH-Gesellschafters vergleichbar. Bei einer Einlage von 414.146,52 Euro läge in Anbetracht des Einkommens der Beklagten ein bedeutsamer Gesellschaftsanteil vor.

Der BGH hat daher die Grundsätze zu GmbH-Gesellschafter-Bürgschaften (vgl oben) hier angewendet: Die Bank durfte daher davon ausgehen, dass die Beklagte sich aus eigenem finanziellen Interesse und nicht aus emotionaler Verbundenheit an der KG beteiligte und dass die Beklagte daher mit der Bürgschaft kein unzumutbares Risiko einging. Dies gilt nach dem BGH sogar dann, wenn es der Beklagten tatsächlich am eigenen wirtschaftlichen Interesse fehlte, sie nur aus persönlicher Verbundenheit die Gesellschafterstellung übernommen hat, sie also Strohfrau war. Eine Ausnahme soll nur dann gelten, wenn die Strohfrau-Eigenschaft für die Bank erkennbar gewesen wäre (vgl. oben). Gegen die Sittenwidrigkeit spricht im vorliegenden Fall allerdings die geringere Schutzbedürftigkeit der Beklagten, die als Diplomjuristin die Risiken einer Bürgschaft durchschaut haben müsste. Das Berufungsgericht hat zur Strohfrau-Eigenschaft keine Ausführungen gemacht. Das Urteil war daher aufzuheben und zurückzuverweisen, da es nicht entscheidungsreif war.

3. Keine Rechtfertigung der Bürgschaft

Eine finanzielle Überforderung des Bürgen ist auch nicht durch den Umstand gerechtfertigt, dass die kreditgebende Bank die Bürgschaft verlangt hat, um sich davor zu schützen, dass sie den Zugriff auf das Vermögen des Hauptschuldners durch eine Vermögensverlagerung auf dessen Ehegatten verliert.   

Denn der Bürge haftet auch dann mit seinem gesamten Vermögen und nicht nur mit der auf ihn verlagerten Summe. Darin wird eine die Sittenwidrigkeit begründende Übersicherung gesehen.  Eine im Bürgschaftsvertrag enthaltende ausdrückliche Haftungsbeschränkung für den Fall der Vermögensverschiebung kann den Makel der Sittenwidrigkeit jedoch entfallen lassen.

Der BGH führt hierzu im Urteil zu SV 1 aus:

„.. rechtfertigt allein das Ziel, etwaigen Vermögensverschiebungen vorzubeugen, ein unbeschränktes Mithaftungsbegehren nicht. Ohne besondere, vom Kreditgeber im einzelnen darzulegende und notfalls zu beweisende Anhaltspunkte kann grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass eine krass überfordernde Bürgschafts- oder Mithaftungsübernahme inhaltlich von vornherein nur eine erhebliche Vermögensverlagerung zwischen Hauptschuldner und Sicherungsgeber verhindern soll. Eine solche Vereinbarung, die der Personalsicherheit einen ganz besonderen Sinn verleiht, ist keineswegs üblich oder den außerhalb der Vertragsurkunde liegenden Umständen zu entnehmen. Wer unter Berufung auf den wirklichen Willen verständiger Vertragsparteien eine solche einschränkende Auslegung der Bürgschaft oder Mithaftungsabrede vornimmt, setzt sich daher über allgemein anerkannte Auslegungsgrundsätze hinweg und verstößt überdies gegen das Verbot einer geltungserhaltenden Reduktion formularmäßiger Bürgschafts- oder Mithaftungsverträge. Nimmt der Kreditgeber den Betroffenen – wie hier – in Anspruch, ohne auch nur ansatzweise zu behaupten, dass und in welchem Umfang eine im Verhältnis zur Kreditsumme erhebliche Vermögensverschiebung stattgefunden hat, so zeigt auch dieses im Rahmen der Vertragsauslegung zu berücksichtigende nachvertragliche Verhalten, dass die Annahme einer stillschweigend getroffenen Haftungsbegrenzung nicht gerechtfertigt ist.“

 

Verfasser: RA & StB Andreas Jahn / Daniel Möller, Dipl. jur.

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • Anwalt des Jahres in NRW (Alexander Knauss) für Bank- und Finanzrecht
    (Handelsblatt 2023)

  • „Deutschlands Beste Anwälte“ im Bank- und Finanzrecht
    (Handelsblatt 2023)

  • „Deutschlands Beste Anwälte“ im Bank- und Finanzrecht
    (Handelsblatt 2022)

  • TOP-Kanzlei für Bank- und Finanzrecht 
    (WirtschaftsWoche 2022)

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