26.03.2021 -

GmbH-Geschäftsführer sind an sich keine Arbeitnehmer. Die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) finden nach dem Gesetzeswortlaut auf Geschäftsführer nur Anwendung, soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft. Der BGH hat aber entschieden, dass ein Diskriminierungsschutz für Geschäftsführer auch bei einer Kündigung des Geschäftsführervertrags gilt.


BGH, Urteil vom 26.3.2019 – II ZR 244/17 (Copyright: 185726090/adobe.stock).

Der Fall

Der Kläger war Geschäftsführer einer GmbH, ohne selbst Gesellschafter zu sein (Fremdgeschäftsführer). In seinem Geschäftsführervertrag war geregelt, dass nach Eintritt in das 61. Lebensjahr das Dienstverhältnis beiderseits durch eine einseitige Erklärung mit einer Frist von sechs Monaten beendet werden konnte. Bei einer Kündigung sollten Versorgungsansprüche ausgelöst werden. Nach Verkauf des Unternehmens wurde der Kläger durch die nunmehrigen Gesellschafter abberufen. Der Dienstvertrag des Geschäftsführers, der mittlerweile seinen 60. Geburtstag gefeiert hatte und damit in sein 61. Lebensjahr eingetreten war, wurde mit einer Frist von sechs Monaten gekündigt. Die Gesellschafter beriefen sich dabei auf betriebs- und unternehmensbezogene Gründe. Der Geschäftsführer verlangte mit einer Klage die Feststellung, dass sein Dienstvertrag durch die Kündigung nicht beendet worden sei.

Die Entscheidung

Die im Geschäftsführervertrag vorgesehene besondere Kündigungsmöglichkeit für die Gesellschaft nach Eintritt des Geschäftsführers in das 61. Lebensjahr sei unwirksam, da sie den Kläger wegen seines Alters entsprechend § 7 Abs. 1 AGG unmittelbar benachteiligt habe, so der BGH. Gegenüber einem jüngeren Geschäftsführer hätte diese Kündigungsmöglichkeit schließlich nicht bestanden. Anders als vom Berufungsgericht vertreten, könne nicht ohne weiteres angenommen werden, dass die Ungleichbehandlung nach dem Maßstab des § 10 AGG gerechtfertigt sei. Besondere betriebs- und unternehmensbezogene Gründe für die nach dem Lebensalter unterscheidende Kündigungsmöglichkeit seien nicht hinreichend konkret dargelegt worden. Inwieweit im konkreten Fall ein legitimes Interesse daran bestehe, frühzeitig einen Nachfolger in der Unternehmensleitung zu installieren, habe die Beklagte ebenfalls nicht darlegen können. Die besonderen Anforderungen an Führungskräfte würden auch nicht pauschal eine unter dem gesetzlichen Renteneintrittsalter liegende Altersgrenzen rechtfertigen, so das Gericht. Schließlich seien Personen mit großer Berufserfahrung für anspruchsvolle Aufgaben gegebenenfalls besonders geeignet. Das Berufungsgericht habe der Beklagten Gelegenheit zu geben, mögliche Rechtfertigungsgründe im Prozess ergänzend darzulegen.

Der eigentliche Problemschwerpunkt der Entscheidung lag aber nicht auf der Frage, ob die Bestimmung im Dienstvertrag eine ungerechtfertigte Altersdiskriminierung darstellte. Vielmehr war entscheidend, ob das AGG hier auf den Geschäftsführer überhaupt Anwendung finden würde. Nach § 6 Abs. 3 AGG gelten die entsprechenden Vorschriften des AGG nämlich nur insoweit für Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer, soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft. Hier betraf die diskriminierende Regelung aber die Beendigung des Geschäftsführervertrags.

§ 6 Abs. 3 AGG sei laut dem BGH nicht erweiternd auszulegen. Zum einen entspreche die Differenzierung zwischen Zugang zur Erwerbstätigkeit und Entlassungsbedingungen auch der dem AGG zugrundeliegenden Richtlinie 2000/78/EG. Zum anderen dürfe die Vorschrift nicht entgegen ihres klaren Wortlauts und dem erklärten Willen des Gesetzgebers ausgelegt werden. Für Geschäftsführer würden nach dem BGH dementsprechend die Regelungen des AGG zur Vertragsbeendigung an sich keine Anwendung finden.

Allerdings sei der Fremdgeschäftsführer einer GmbH insoweit als Arbeitnehmer im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG anzusehen, wie bei einer Kündigung seines Geschäftsführervertrags der sachliche Anwendungsbereich des AGG über § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG eröffnet sei. Dieser Anwendungsbereich sei unter anderem bei Entlassungsbedingungen einschlägig. Insoweit sei ein spezifischer unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff anzuwenden, so der BGH. Die RL 2000/78/EG begrenze ihren Geltungsbereich nicht auf Arbeitnehmer, sondern gelte generell für alle Entlassungen. Das AGG erwähne in seinem § 6 zwar den Begriff des Arbeitnehmers, definiere diesen aber nicht und lasse damit Auslegungsspielräume offen. Bei der Auslegung des AGG sei zu berücksichtigen, dass die dem AGG zugrundeliegende Richtlinie 2000/78/EG möglichst wirksam umgesetzt werden sollte (effet utile).

Laut BHH sei für den daher zu Grunde zu legenden unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff entscheidend, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringe, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhalte. Entscheidend sei ein Unterordnungsverhältnis. Ein solches könne auch bei Leitungsorganen einer Kapitalgesellschaft vorliegen. Voraussetzung hierfür sei neben der Entgeltlichkeit die Weisungsgebundenheit gegenüber einem anderen Organ sowie die Möglichkeit, jederzeit ohne Einschränkungen vom Amt des Geschäftsführers abberufen werden zu können. Im Fall seien diese Voraussetzungen erfüllt. Die Gesellschafterversammlung treffe die für die Geschicke der Gesellschaft wesentlichen Entscheidungen und setze sie durch Weisungen an die Geschäftsführer um. Sie nehme ein umfassendes Prüfungsrecht wahr, welches durch die Überwachung vonseiten des Aufsichtsrats ergänzt werde. Entscheidend sei zudem, dass die Bestellung des Geschäftsführers gemäß § § 38 Abs. 1 GmbHG jederzeit widerrufbar sei. Der Ermessensspielraum eines Geschäftsführers ändere an dem Unterordnungsverhältnis nichts. Die Sonderregelung zu Geschäftsführern in § 6 Abs. 3 AGG stehe der Auslegung nicht entgegen, schließlich seien Arbeitnehmer nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AGG ausdrücklich vom AGG erfasst. Hier werde lediglich der Arbeitnehmerbegriff weiter gefasst, so der BGH.

Fazit

Nach dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff können auch GmbH-Geschäftsführer Arbeitnehmer sein. Dies bringt einige Bewegung in das deutsche Arbeitsrecht. Wurde bisher die Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Bestimmungen auf Geschäftsführer pauschal abgelehnt, kann das Ergebnis nunmehr auch anders ausfallen. Es verhält sich aber auch nicht so, dass Geschäftsführer sich fortan in jedem Fall auf jede arbeitsrechtlichen Norm berufen können. Ob der Geschäftsführer sich tatsächlich gegenüber den Gesellschaftern in einem Unterordnungsverhältnis befindet, wird im Einzelfall zu entscheiden sein. Abzuwarten bleibt, in welchen Fallgestaltungen die Rechtsprechung den Arbeitnehmerbegriff ebenfalls auf Geschäftsführer erweitern wird. In Betracht kommen hier von vornherein nur solche gesetzlichen Bestimmungen, die auf das Unionsrecht zurückzuführen sind.

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