18.08.2021 -

Durch eine sogenannte Sprinterklausel in Aufhebungsverträgen wird es einem Arbeitnehmer ermöglicht, vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden – häufig in der Freistellungsphase. Regelmäßig ist diese Möglichkeit mit einer zusätzlichen Abfindung verknüpft. Für einen Arbeitnehmer kann es insbesondere Sinn machen, eine besser dotierte Stelle anzunehmen und zusätzlich die Abfindung zu kassieren. Der Arbeitgeber erspart sich gegebenenfalls Teile des Nettogehalts (je nach konkreter Ausgestaltung der Sprinterklausel), aber auf jeden Fall die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung. Aber was passiert, wenn ein Arbeitnehmer von der Kündigungsmöglichkeit keinen Gebrauch macht und in der Freistellungsphase einfach so eine neue Position antritt? Kann der Arbeitnehmer dann beim alten und beim neuen Arbeitgeber Gehalt kassieren?


BAG, Urt. v. 23.2.2021 – 5 AZR 314/20 (Coopyright: DragonImages/adobe.stock).

Der Fall

Ein Unternehmen schloss mit seinem Personalleiter, der zuletzt mit einem Bruttomonatsgehalt von annähernd 10.000 € beschäftigt war, einen Aufhebungsvertrag. Im Vorfeld gab es offene Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die genauen Inhalte dieses Aufhebungsvertrags. Schließlich kam es am 12.09.2018 zum Vertragsabschluss. In dem Aufhebungsvertrag heißt es, dass der Personalleiter ab dem 21. 09. 2018 bis zum 30.04. 2019 unter Anrechnung aller noch bestehender Urlaubsansprüche unter Fortzahlung des monatlichen Bruttogehalts unwiderruflich von der Arbeit freigestellt werde. Er erhalte aber das Recht, durch schriftliche Erklärung vor dem 30.04.2019 aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. In diesem Fall erhalte er eine Abfindungssumme für jeden vollen Monat der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Höhe von 2.690 € brutto sowie für jeden vorzeitigen Kalendertag in Höhe von 90 € brutto (so genannte „Sprinterklausel“ oder Turboklausel“).

Bei Abschluss des Aufhebungsvertrags standen dem Personalleiter noch 8 Urlaubstage aus dem Jahr 2018 zu. Wie hoch der Urlaubsanspruch für das Kalenderjahr 2019 war, wurde im gerichtlichen Verfahren nicht erörtert. Der Personalleiter nahm am 07.01.2019 eine Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber auf. Dies teilte er im Vorfeld dem bisherigen Arbeitgeber mit. Er erklärte aber nie die Absicht, vorzeitig aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis auszuscheiden. Der Verdienst aus der neuen Position überstieg sogar die vorher bezogene Vergütung. Von seiner alten Arbeitgeberin erhielt der Personalleiter daraufhin keine Vergütung mehr. Daraufhin erhob der Personalleiter Klage vor dem Arbeitsgericht und forderte die Vergütung für die Zeit von Januar bis April 2019. Schließlich habe er keinen Gebrauch von der Möglichkeit gemacht, sein Arbeitsverhältnis vorzeitig zu beenden. In dem Aufhebungsvertrag sei auch keine Rede davon, dass er sich anderweitig erworbenen Verdienst anrechnen lassen müsse. Die Arbeitgeberin vertrat die Ansicht, dass sie den Verdienst beim neuen Arbeitgeber auf den Gehaltsanspruch habe anrechnen dürfen.

Die Entscheidung

Das BAG folgte der Ansicht des Klägers nicht und verwies den Rechtsstreit zurück an die Vorinstanz. Der anderweitig erzielte Verdienst müsse auf den Vergütungsanspruch des Klägers angerechnet werden. Dies gelte aber nicht für die Tage, an denen dem Kläger Urlaub gewährt wurde. Die genaue Höhe des Urlaubsanspruchs müsse das Landesarbeitsgericht feststellen.

Der Vergütungsanspruch des Klägers ergebe sich aus dem Aufhebungsvertrag, da dieser die Fortzahlung der Vergütung für die Zeit der Freistellung vorgesehen habe. Die Vorschrift des § 615 S. 2 BGB sei nicht anwendbar, weshalb nicht schon hieraus eine Anrechnung der vom neuen Arbeitgeber erhaltenen Vergütung schlussfolgere. Eine Anrechnung nach § 615 S. 2 BGB setze voraus, dass ein Annahmeverzug vorläge. Hier sei aber kein Annahmeverzug gegeben, da der Kläger aufgrund der vereinbarten unwiderruflichen Freistellung nicht mehr zur Arbeitsleistung verpflichtet gewesen sei. Die Beklagte habe dementsprechend die Arbeitsleistung auch nicht fordern können. Die Situation sei anders als bei einer einseitigen Freistellung von der Arbeitspflicht durch den Arbeitgeber. In diesem Falle lehne der Arbeitgeber die Arbeitsleistung ab, sodass § 615 S. 2 BGB zur Anwendung käme. Hätten die Parteien aber einvernehmlich die Arbeitspflicht aufgehoben, sei für einen Annahmeverzug und dementsprechend für die Anrechnungsvorschriften nach § 615 S. 2 BGB kein Raum.

An sich sei daher bei einer einvernehmlich vereinbarten unwiderruflichen Freistellung anderweitig erzielten Verdienst nicht anzurechnen. Anders verhalte es sich aber, wenn eine solche Anrechnung vertraglich vereinbart sei. Dies sei hierdurch die Parteien im Rahmen der „Sprinterklausel“ erfolgt. Da der Aufhebungsvertrag zwischen den Parteien ausgehandelt worden sei, nahm das BAG keine allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) an und konnte dementsprechend auf eine Inhaltskontrolle verzichten. Durch den Aufhebungsvertrag hätten die Parteien ein Sonderkündigungsrecht vereinbart und damit dem Kläger die Möglichkeit eröffnet, mit einer kürzeren Kündigungsfrist aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. Nach dem Aufhebungsvertrag sollte eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer dazu führen, dass diesem eine im Vergleich zu seiner (noch ausstehenden) Bruttovergütung wesentlich geringere Abfindungssumme zustehen sollte

Die Vorinstanz war davon ausgegangen, dass aufgrund der niedrigen Abfindungssumme die vorzeitige Vertragsbeendigung gerade unattraktiv gemacht werden sollte. Das BAG sah das anders. Das Sonderkündigungsrecht habe eben nur dann eine Funktion erfüllen können, wenn der Arbeitnehmer einen anderen, gut bezahlten Arbeitsplatz antreten konnte. Dann habe der Arbeitnehmer die Möglichkeit gehabt, den höheren Verdienst beim anderen Arbeitgeber und die Abfindung zu beziehen.

Der Aufhebungsvertrag lasse aber offen, welche Rechtsfolgen bei Aufnahme einer anderen Erwerbstätigkeit durch den Arbeitnehmer ohne vorzeitige Beendigung des alten Arbeitsverhältnisses eintreten sollte. Nach dem Willen der Parteien habe es aber einen praktischen Grund dafür geben müssen, überhaupt von der Vertragsbeendigung Gebrauch zu machen. Einen praktischen Sinn habe das Sonderkündigungsrecht aber nur dann machen können, wenn allein hierdurch die Möglichkeit eines höheren Erwerbs an einem anderen Arbeitsplatz eröffnet werden konnte, so das BAG. Hätte der Arbeitnehmer auch einfach ohne Kündigung beim alten und beim neuen Arbeitgeber das Gehalt weiterkassieren können, hätte die Option des Sonderkündigungsrechts keinen Sinn gemacht. Nur eine solche Auslegung würde sowohl das Flexibilitätsinteresse des Klägers berücksichtigen als auch die Arbeitgeberin vor wirtschaftlicher Überlastung schützen. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dem Arbeitnehmer bei Aufnahme einer neuen Beschäftigung in der Freistellungsphase zwei volle Gehälter zustehen sollten.

Im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung kam das BAG zu dem Ergebnis, dass die Parteien in Kenntnis der Regelungslücke eine Anrechnung des anderweitig erzielten Verdienstes geregelt hätten. Nach dem Willen der Parteien sollte der Arbeitnehmer keine Nachteile dadurch erleiden, dass er vorzeitig eine andere Beschäftigung aufnahm. Er sollte aber auch nicht durch eine doppelte Vergütung dadurch besser stehen, dass er ohne Kündigung eine neue Erwerbstätigkeit aufnahm. Der Aufhebungsvertrag sei „zu Ende zu denken“.

Problematisch war aber ebenfalls, wie sich die im Aufhebungsvertrag vorgesehene Urlaubsregelung auf die Anrechnung auswirken sollte. Der Aufhebungsvertrag hatte pauschal angenommen, dass der Kläger im Zeitraum vom 21.09.2018 bis zum 30.04.2019 seinen Urlaub nehmen würde. Das BAG ging aber davon aus, dass während des Urlaubs anderweitiger Verdienst nicht angerechnet werden könne. Es war daher klar, dass für bestimmte Urlaubstage keine Anrechnung erfolgen konnte – unklar war aber, wann und ob diese Urlaubstage genommen worden waren. Das BAG löste diese Situation pragmatisch auf: Der Urlaub aus dem Jahr 2018 sei gleich zu Beginn des Freistellungszeitraums gewährt worden. Der Arbeitgeber habe die zeitliche Lage des Urlaubs innerhalb des Freistellungszeitraums festlegen können. Aufgrund der im Aufhebungsvertrag vereinbarten Sprinterklausel sei es angemessen und naheliegend, dass der Urlaubsanspruch vor Beginn der eigentlichen Freistellungsphase erfüllt werden sollte. Die Parteien hätten es offensichtlich als möglich angesehen, dass der Kläger kurzfristig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden würde. Es habe daher das Risiko bestanden, dass der Urlaub gar nicht mehr gewährt werden könnte. Dies habe sachgerecht dadurch vermieden werden können, dass der Urlaub sofort gewährt worden sei.

Der Urlaub aus dem Kalenderjahr 2019 seit dementsprechend gleich zu Beginn des Kalenderjahres 2019 genommen worden. Es war aber unklar, wie viele Urlaubstage dem Kläger für das Jahr 2019 zustanden. Auf jeden Fall war ein anteiliger Urlaubsanspruch entstanden, schließlich war der Kläger während des Kalenderjahres 2019 ausgeschieden. Dass der Kläger tatsächlich im Kalenderjahr 2019 gar nicht mehr für die Beklagte gearbeitet hatte, spielte keine Rolle. Allerdings war unklar, wie viele Urlaubstage dem Kläger für das Kalenderjahr 2019 zustanden. Mit dieser Fragegestellung wurde das Verfahren an das LAG zurück überwiesen.

Fazit

Das hier gefundene Ergebnis leuchtet wertungsmäßig ein: Wer von der Option des Sonderkündigungsrechts keinen Gebrauch macht und in der Freistellungsphase auch ohne Kündigung eine neue Beschäftigung antritt, soll nicht doppelt kassieren. Der Weg zur Lösung des BAG ist aber rechtstechnisch nicht ganz einfach. Bei einer einvernehmlichen unwiderruflichen Freistellung ist nämlich grundsätzlich keine Anrechnung anderweitigen Erwerbs vorzunehmen. Demensprechend ist hier Vorsicht geboten: Nur ausnahmsweise und bei entsprechender Vereinbarung ist die Anrechnung durchzuführen. Hier wurde dies – wohlgemerkt bei einem gegenseitig ausgehandelten Vertrag – aus der Sprinterklausel geschlussfolgert, obwohl diese den Fall einer anderweitigen Erwerbsaufnahme ohne ausdrückliche Kündigung nicht regelte. Logische Konsequenz des dort vorgesehen Sonderkündigungsrechts ist es auch, dass ein Arbeitnehmer sich bei anderweitiger Erwerbsaufnahme auch den dort erworbenen Verdienst anrechnen lassen muss. Da die Sprinterklauseln regelmäßig keine ausdrückliche Regelung dieses Falls vorsehen, hätte bei einer anderen Entscheidung des BAG die Sprinterklausel zumindest bei unwiderruflicher Freistellung keinen Sinn mehr gemacht: Der Arbeitnehmer wäre dann stets bessergestellt, wenn er vom Sonderkündigungsrecht einfach keinen Gebrauch machen würde. Aber Achtung: Während der Urlaubszeiten erfolgt keine Anrechnung – es ist aber unschädlich, wenn der Urlaub nicht konkret festgelegt ist.

Interessant wäre noch die Frage gewesen, ob der Kläger hier einen Anspruch auf die Abfindung gehabt hat – wahrscheinlich war dies mangels Kündigungserklärung nicht der Fall. In der Konsequenz dieser Entscheidung sollte ein Arbeitnehmer bei Aufnahme einer neuen Tätigkeit von dem Sonderkündigungsrecht auch Gebrauch machen und sich dadurch Abfindung und neues Gehalt sichern.

Unklar ist auch, ob das BAG bei einseitig vorgegebenen AGB das gleiche Ergebnis gefunden hätte oder ob es die Klausel dann zugunsten des Arbeitnehmers ausgelegt hätte. Insoweit bestehen Bedenken, da AGB im Zweifel stets zugunsten des Verbrauchers, also hier des Arbeitnehmers, auszulegen sind. Wie die Entscheidung beim Vorliegen von AGB ausgefallen wäre, bleibt daher unklar.

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Autor

Bild von Dr. Christopher Rinckhoff
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Dr. Christopher Rinckhoff
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