Urteil des OLG Köln vom 21. November 2023 – 9 U 206/22
Haftungsprozesse gegen Geschäftsleiter sind sowohl bei der Aktiengesellschaft als auch bei der GmbH durch hohe Haftsummen und eine schwierige Beweisführung geprägt. Ob das betroffene Führungsorgan die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt hat oder nicht, ist dabei für die klagende Gesellschaft in der Regel nur schwer zu beweisen. Aus diesem Grund sieht § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Binnenpflichtwidrigkeit und des Verschuldens des Geschäftsleiters vor, die für Vorstandsmitglieder unmittelbar gilt und im Rahmen des § 43 Abs. 2 GmbHG für den GmbH-Geschäftsführer entsprechende Anwendung findet.
Die Gesellschaft trifft daher grundsätzlich allein die Darlegungs- und Beweislast für (1.) das Verhalten des Organmitgliedes, das sich als möglicherweise pflichtwidrig darstellt, für (2.) den Eintritt und die Höhe des entstandenen Schadens und für (3.) die Kausalität zwischen dem Geschäftsleiterhandeln und dem Schaden. Sodann hat das Geschäftsleitungsorgan darzulegen und zu beweisen, dass ihn keine Pflichtverletzung und/oder kein Verschulden trifft oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre. Heftig umstritten war bislang, ob die Beweislastumkehr aus § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG (analog) zugunsten der Gesellschaft ebenso gilt, wenn diese den Schadensersatzanspruch nicht unmittelbar gegen den Geschäftsleiter, sondern im Direktprozess gegen den D&O-Versicherer geltend macht.
Der Sachverhalt:
Die klagende GmbH verlangt Schadensersatz von ihrem ehemaligen Geschäftsführer, weil dieser eine Erhöhung der Versicherungssumme der bestehenden Feuerversicherung abgelehnt hatte. Infolge eines späteren Brandes entstanden Schäden, die die Versicherungssumme der Feuerversicherung erheblich überstiegen. Der ehemalige Geschäftsführer hat seinen Freistellungsanspruch gegenüber der bestehenden D&O-Versicherung an die GmbH abgetreten. Auf Grundlage dieser Abtretung klagte die GmbH sodann direkt gegen die D&O-Versicherung auf Zahlung. In diesem Verfahren setzt sich das Oberlandesgericht Köln (OLG Köln, Urt. v. 21.11.2023 – 9 U 206/22) unter anderem mit der kontrovers diskutierten Frage auseinander, ob die Beweislastumkehr nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG auch in einem Direktprozess zwischen der Gesellschaft und dem D&O-Versicherer Anwendung findet.
Die Entscheidung:
Im Prozess vor dem OLG Köln macht die Gesellschaft als Klägerin den abgetretenen Befreiungs-/Freistellungsanspruch ihres ehemaligen Geschäftsführers gegen die Versicherung geltend. Entscheidend war daher, ob ein Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen ihren Geschäftsführer vorlag, der die Ersatzpflicht der Versicherung auslöst. Hierfür kam es wiederum maßgeblich darauf an, ob der Geschäftsführer den Schaden sorgfaltswidrig verschuldet hatte. Und an dieser Stelle hatte das OLG Köln die höchst umstrittene Frage zu klären, ob die Darlegungs- und Beweislastumkehr nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG analog auch im Direktprozess der Gesellschaft gegen den D&O-Versicherer nach Abtretung des Deckungsanspruchs gilt.
Dies wurde von einigen Stimmen in der juristischen Fachliteratur unter Verweis auf den Zweck der Beweislastumkehr in § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG bis dato verneint. Denn ihr liege der Gedanke zugrunde, dass der Geschäftsleiter eine besondere Nähe zu dem streitigen Sachverhalt habe, die ihm die Darlegung und Beweisführung gegenüber der Gesellschaft erleichtere.
Anders sei die Situation jedoch im Verhältnis Versicherung und Gesellschaft. Denn nun stehe die Gesellschaft dem streitigen Sachverhalt näher, sodass sie die Darlegungs- und Beweislast für den inzident zu prüfenden Anspruch gegen ihren (ehemaligen) Geschäftsleiter zu tragen habe.
Dementgegen befürworteten andere Stimmen in der Literatur die Anwendung der Beweislastumkehr nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG (analog) auch im Direktprozess zwischen der Gesellschaft und dem Versicherer: Schließlich verändere die Abtretung nichts an der Rechtsstellung des Schuldners.
Wie hat sich das OLG Köln entschieden?
Das OLG Köln hat sich nunmehr der zweiten Auffassung angeschlossen: Die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage des Haftungsanspruchs aus § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, der inzident im Rahmen des Deckungsprozesses zu prüfen sei, ändere sich durch die Abtretung nicht. Letztere führe lediglich zu einem Gläubigerwechsel bei ansonsten unverändert fortbestehendem Schuldverhältnis. Dementsprechend gelte die geänderte Beweislastverteilung nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, die nach ständiger Rechtsprechung gleichermaßen für den GmbH-Geschäftsführer gelte, auch im Rahmen des Inzidenzprozesses der Gesellschaft gegen den Versicherer.
Folgen für die Praxis:
Bisher führten Gesellschaften ihre Haftungsprozesse in aller Regel gegen ihren (ehemaligen) Geschäftsleiter. Grund hierfür war die bestehende Rechtsunsicherheit, ob die Gesellschaft auch im Prozess gegen den D&O-Versicherer, nach vorheriger Anspruchsabtretung des Geschäftsleiters, von der Beweislastumkehr des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG (analog) profitiert. Insoweit dürfte die erste zustimmende obergerichtliche Entscheidung die Situation der Gesellschaften im Direktprozess gegen die D&O-Versicherungen verbessern. In der Folge ist davon auszugehen, dass Gesellschaften in Zukunft häufiger als bisher den Weg einer vorherigen Abtretung der Freistellungsansprüche des Geschäftsleiters gegen seinen D&O-Versicherer und der gerichtlichen Geltendmachung gegen den D&O-Versicherer wählen.
Für die Versicherungen bedeutet das neue Urteil nicht unbedingt eine Verschlechterung zum Status Quo: Denn für den Fall, dass die Gesellschaft ihre Ansprüche zunächst gegen den Geschäftsleiter geltend macht, ist die Versicherung an das Ergebnis dieses Haftungsprozesses gebunden, ohne dass sie an dem Rechtsstreit zwingend beteiligt war. Im Direktprozess gegen die Gesellschaft kann sie schon auf die Haftungsfrage Einfluss nehmen, wobei ihr der durch den Haftungsanspruch betroffene Geschäftsleiter, der vertraglich zur Auskunft und Mitwirkung verpflichtet ist, als Zeuge zur Verfügung steht.
Bei Fragen rund um die Haftung von Geschäftsleitungsorganen können Sie sich gerne an den Autor dieses Beitrages wenden.
Autor: Dr. Karl Brock
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