Zugleich: Haftungsrisiko des Aufsichtsrates bei fehlender Informationsbeschaffung
BGH, Urteil vom 14. Oktober 2025 – II ZR 78/24
Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt in seinem Urteil vom 14. Oktober 2025 klar, dass die vierteljährliche Berichtspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 AktG auch dann besteht, wenn die Aktiengesellschaft zeitweise keine operative Geschäftstätigkeit entfaltet. Ein Verzicht auf Informationspflichten bei „Stillstand“ ist weder von Seiten des Vorstandes noch von Seiten des Aufsichtsrates möglich.

Hintergrund des Rechtsstreits
Im zugrunde liegenden Fall hatte der Kläger – als pfändender Gläubiger – Schadensersatzansprüche einer Aktiengesellschaft gegen ein ehemaliges Aufsichtsratsmitglied geltend gemacht. Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen, weil angeblich keine Pflichtverletzung im kausalen Zusammenhang zur Schädigung vorläge. Die Karlsruher Richter haben dann die Entscheidung im Rahmen der zugelassenen Revision aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückgewiesen.
Parallel hierzu hat der BGH in der rechtlichen Bewertung der Berichts- und Überwachungspflichten nach § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 AktG klargestellt, dass auch bei fehlender aktiver Geschäftstätigkeit keine Entlastung von den gesetzlichen Berichtspflichten besteht.
Wesentliche Inhalte der gerichtlichen Entscheidung
1. Berichtspflichten aus § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 AktG bestehen uneingeschränkt
Nach Auffassung des BGH ist der Vorstand auch dann verpflichtet, dem Aufsichtsrat mindestens vierteljährlich über die Lage der Gesellschaft Bericht zu erstatten – unabhängig davon, ob eine aktive Geschäftstätigkeit der Aktiengesellschaft stattfindet oder nicht. Ein „Innehalten“ der Verpflichtungen ist gesetzlich nicht vorgesehen.
Die Informationspflicht ist als Bringschuld ausgestaltet. Diese Verpflichtung trifft den Vorstand unabhängig von der wirtschaftlichen Aktivität der Aktiengesellschaft.
2. Mitwirkungspflicht des Aufsichtsrats
Der Aufsichtsrat ist seinerseits wiederum gefordert, bei unzureichender Information durch den Vorstand nicht abzuwarten, sondern aktiv dafür zu sorgen, dass er die für die Überwachung der Vorstandtätigkeit notwendige Information erhält. „Passives Verhalten“ genügt indes nicht; vielmehr müssen entsprechende proaktive Maßnahmen zur Informationsbeschaffung durch den Aufsichtsrat ergriffen werden. Kommt er dem nicht nach, machen sich die Aufsichtsratsmitglieder unter Umständen nach §§ 116, 93 AktG haftbar.
3. Konsequenzen für die Organpraxis innerhalb der Aktiengesellschaft
Die Karlsruher Richter haben mit ihrer Rechtsprechung erneut die Pflicht- und Überwachungsstruktur des deutschen Aktienrechts verschärft:
- Der Vorstand darf sich auch bei inaktiver Geschäftstätigkeit der Aktiengesellschaft nicht auf reduzierte bzw. eingeschränkte Berichtspflichten berufen.
- Der Aufsichtsrat muss seine Informationsrechte aktiv wahrnehmen und einfordern, um einer Haftung aus §§ 116, 93 AktG zu entgehen.
- Dokumentations- und Kontrollmechanismen bei Vorstand und Aufsichtsrat sind entsprechend zu gestalten, um Haftungsrisiken zu minimieren.
Praxisnahe Bedeutung der neuen BGH-Rechtsprechung
Das BGH-Urteil betont die unabdingbare Funktion der Berichtspflichten als zentrales Instrument zur Sicherstellung der Überwachung der Vorstandstätigkeiten, aber auch der Unternehmensüberwachung im Allgemeinen – und zwar gerade auch in Phasen ohne aktive Geschäftsprozesse der Aktiengesellschaft. Ein Aussetzen der Berichterstattung durch den Vorstand kann nicht damit gerechtfertigt werden, dass die Gesellschaft „keine Geschäfte macht“. Die höchstrichterliche Rechtsprechung stärkt somit die Stellung des Aufsichtsrats und sichert eine kontinuierliche Kontrolle der Geschäftsleitung des Vorstandes durch den Aufsichtsrat. Auf der anderen Seite wird durch das BGH-Urteil das Pflichtenprogramm des Aufsichtsrates verschärft und weiter Haftungsrisiken für Aufsichtsratsmitglieder begründet.
Fazit
Mit seinem Urteil aus Oktober 2025 schafft der BGH Rechtssicherheit für die Praxis des Gesellschaftsrechts. Die vierteljährliche Berichtspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat ist nicht an das Vorliegen aktiver Geschäftstätigkeit geknüpft. Ein Stillstand des operativen Geschäfts entbindet Vorstand und Aufsichtsrat nicht von ihren gesetzlichen Verantwortlichkeiten.
Bei Fragen rund um die Organpflichten von Vorstand und Aufsichtsrat können sie sich gerne an den Autor dieses Beitrags wenden.
Autor: Dr. Karl Brock
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